Eisbärenbeobachtung, Inuit-Kultur, Schnorcheln mit Belugawalen: In diesem Vierteiler berichte ich von meinen Abenteuern in Kanadas hohem Norden. Wenn Euch meine Reiseberichte zu eigenen Arktis-Plänen inspirieren, habe ich mein Ziel erreicht. Nur über eines solltet Ihr Euch vorher klar sein. Grün ist für uns Südländer die Farbe des Lebens, sie steht für Natur, Wald, Wiese. Es ist die klassische Farbe der Pflanzenwelt, kurz: Grün beruhigt. Wer glaubt, ohne die Farbe Grün nicht leben zu können, sollte sich diese Reise gut überlegen .. :)
Nicht, dass es in Nunavut kein Grün gäbe. Nunavut steht für Kanadas Norden, für Inuit-Territorium, ist über 2 Mio. Quadratkilometer groß, von etwas über 30 000 Menschen bewohnt und reicht von der Nordgrenze Manitobas bis fast zum Nordpol. Bäume, Pflanzen, Moose und Flechten gibt es reichlich, vor allem beiderseits des Polarkreises und selbst noch auf Ellesmere Island kurz vorm Pol.
Doch die Pflanzendecke ist nur dünn. Überall brechen Stein und Fels hervor. Mal übereinander getürmt, mal wild geborsten und latent gewalttätig aussehend, mal in gigantischen Haufen, mal als endlose Schutthalden und staubige Kältewüsten. Braun, beige, grau und schwarz mit allen erdenklichen Zwischentönen überwiegen: Trostlose Farben, die einen – im günstigsten Fall – nachdenklich, im schlechtesten jedoch traurig und schwermütig stimmen.
Als ich die Einladung zu dieser Pressereise annahm, wusste ich, was auf mich zukommt. Ich war schon mehrere Male in der Arktis gewesen, darunter auch in Iqualuit und Resolute. Dort wurde ich zwar nicht depressiv, aber ich erinnerte mich doch gut daran, wie erleichtert ich jedes Mal war, bei der Rückkehr wieder sattgrüne Laubbäume zu sehen.
Inhaltsverzeichnis
Lächelnde Inuit, verwilderte Südländer
Allerdings: Ich erinnerte mich auch daran, dass mich die Bewohner der kargen Ödnis da oben immer fasziniert hatten. Die stets lächelnden Inuit, ihr neckischer Humor und ihre manchmal nervtötende Gelassenheit, die ich, je nach Stimmungslage, als Teil ihrer Kultur oder als pure Unzuverlässigkeit interpretierte. Die Bauarbeiter aus dem Süden, die dort Häuser, Hospitäler und Schulen auf den Fels stellen und sich, über Monate von Frau und Kind getrennt, in unrasierte Abenteurer verwandeln und manchmal auch in schlimme Rassisten. Und die Fachkräfte, die kommen, um zu helfen, allen voran die Lehrer, Ärzte und Krankenschwestern, und die, wenn sie es so lange aushalten, nach mehreren Jahren in der Arktis Geschichten erzählen können, die anrühren, oft aber auch die Haare zu Berge stehen lassen. Am liebsten aber erinnerte ich mich an die endlosen, pastellfarbenen Mittsommernächte, in denen ich schlaflos durch die staubigen Straßen von Nestern wie Qikiqtarjuaq auf Baffin island und Puvirnituq (in Nord-Québec) gewandert war und mit ebenso schlaflosen Inuit-Jungs ein paar Bälle gegen windschiefe Motorschlitten-Garagen gekickt hatte.
Bezahlbare Schnuppertouren in die Arktis
Und nun wieder Arktis. Früher waren Trips in den hohen Norden des Landes unerschwinglich. Allein für den Preis eines Flugtickets von Montréal (Verweis) nach Iqaluit (Verweis) könnte dieser Wahl-Montréaler bis heute locker zwei bis drei Mal nach Vancouver und zurückfliegen. Inzwischen
nehmen jedoch immer mehr Anbieter bezahlbare, in Montréal, Ottawa oder Winnipeg beginnende Arktis-Schnuppertouren ins Programm. Meine fünftägige Reise nach Repulse Bay und Churchill wurde von der Great Canadian Travel Company (s.u.) organisiert und sah – Flüge, Übernachtung, Mahlzeiten und Aktivitäten inklusive – außer Inuit-Kultur und Eisbärenbeobachtung in Nunavut auch noch Schnorcheln mit Belugawalen in der Hudson Bay von Manitoba vor.
So sollte Fliegen immer sein!
Mitte August 2014 ging es los. Frühmorgens um 6.50 Uhr flog ich in einer Jet-Version der kleinen Dornier 328 der Regionalfluggesellschaft Calm Air (s.u.) nach Repulse Bay. Ich bin ein großer Fan von kleinen Flughäfen. Alles ist persönlicher. Du schlenderst über das Rollfeld zu Deiner Maschine, siehst dabei zu, wie die Koffer verladen werden, wechselst ein paar Worte mit dem Bodenpersonal und quetschst sich dann an der Flugbegleitung, die jeden der Mitreisenden schon zu kennen scheint, vorbei in den kleinen Passagierraum. An Bord sind Inuit unterwegs nach Hause, Rückkehrer vom Heimaturlaub und ein paar Touristen. Man kommt schnell ins Gespräch.
Echte Größe: Ein vierstündiger „Regionalflug“
Die Bezeichnung “Regionalfluggesellschaft” ist im Übrigen ein wenig irreführend. Die Entfernungen sind nämlich auch bei Flügen innerhalb einer Region noch gigantisch. Churchill, unsere erste Zwischenstation an der Hudson Bay, erreichten wir nach zweistündigem Flug. In Europa wäre dies etwas mehr als die Strecke Frankfurt/Main – Rom. Und hier waren wir noch immer bloß in Manitoba, nur einer der 13 riesigen Provinzen und Territorien Kanadas! Nach kurzem Aufenthalt wieder das gleiche Spiel: Zu Fuß über das Rollfeld, die Lungen mit der nun wirklich knackig frischen Luft vollgesogen, ein paar nette Worte mit den rauen Trappern nicht unähnlichen Lotsen und Tankwarten gewechselt und die steile Gangway hinauf in den Flieger geklettert!
Alles muss mit
Flüge in Kanadas Norden sind wahre Milchkannentouren. Flugzeuge unterwegs von A nach D landen auch in B und C, setzen Passagieren ab, nehmen neue auf und löschen und laden von Lebensmitteln über Pampers bis zu Baumaterialien alles, was für den modernen Alltag in Kanadas Norden notwendig ist. Unsere nächste Station war Rankin Inlet am Nordrand der Hudson Bay, mit über 2300 Einwohnern die zweitgrößte “Stadt” Nunavuts und im nordkanadischen Flugverkehrsnetz ein wichtiger Knotenpunkt. Während des 75-minütigen Fluges machte Calm Air seinem Namen alle Ehren: Ich flog so ruhig wie lange nicht mehr. Glitt sanft durch eine blaue Welt ohne oben und unten und genoss den Anflug über eine zerfaserte Felsenküste mit Schären und Kanälen, in denen ich kleine Motorboote ausmachen konnte. Dann kamen lange Container- und Baumaschinenreihen auf endlosen Geröllfeldern, dann der Airstrip, und Minuten später standen wir auf dem dritten Rollfeld des Tages!
Keine von Nunavut´s Siedlungen ist wirklich schön. Funktionale No-Nonsense-Architektur herrscht vor. Container-Häuser, Lagerhallen, Hangare mit runden Wellblechdächern. Für “hübsch” ist kein Platz, für Gärten schon gar nicht, und Straßen sind meist staubige, vom Frost zerrissene Angelegenheiten. Auch Rankin Inlet, das seinerzeit mit Iqaluit um Hauptstadtwürden konkurrierte, ist so ein arktischer Frontier-Ort. Meine Kollegen und ich nutzten die 75 Minuten Aufenthalt zum Beinevertreten und um uns gegenseitig vor den wenigen Sehenswürdigkeiten von Rankin Inlet zu fotografieren: den Stopschildern auf Inuktitut, dem “Welcome to Rankin Inlet”-Schild mit dem Konterfei von Jordin Tootoo, einem in Nunavut berühmten Eishockeyspieler, und dem örtlichen Tim Hortons, wohl dem einzigen in Kanada, wo man sich den “Double-Double” aus dem Automaten ziehen muss. Dann standen wir auch schon wieder auf dem Rollfell. Dieses Mal kletterten wir in eine ATR 42-300 mit 40 Sitzen und Frachtraum zwischen Passagierkabine und Cockpit. Noch einmal eine Stunde und 15 Minuten bis nach Repulse Bay. Was für Entfernungen, was für ein Gefühl, die uns bekannte Welt zurückzulassen. Kein Zweifel: Wir waren in der Arktis angekommen ..
Weitere Infos über meine Reise in Kanadas Norden findet Ihr hier:
- Nunavut Tourism: www.nunavuttourism.com/de
- Travel Manitoba: www.travelmanitoba.com/de
- Calm Air: www.calmair.com
- The Great Canadian Travel Company: www.greatcanadiantravel.com
4 Comments
MONIKA REGALI
8. Oktober 2014 at 8:49Wie immer Spitze. Ich liebe Deine Fotos und Berichte.
Wenn man Deine Beiträge liest, denkt man, man wäre selber dabei.
inka
28. Oktober 2014 at 13:29Ach Ole,
Du schreibst so schön lebendig. Erinnert mich alles wahnsinnig an meine viel zu kurze Grönlandreise – und schwupps, habe ich elendig Lust, da sofort hinzudüsen. Ab jetzt habe ich den Norden Kanadas auf meinem Radar. Nimmste mich mit?
LG /inka
Ole Helmhausen
28. Oktober 2014 at 13:45Danke, Inka! Na klar. Sag´ Bescheid, wenn´s losgeht .. :)!