Rau, leer, extrem entlegen: Auf der Karte schreien die Ränder Neufundlands förmlich danach, erkundet zu werden. Ich hörte auf meinen inneren Entdecker und fuhr los. Der Nase nach und keinen Abstecher auslassend!
Inhaltsverzeichnis
- 1 Neufundlands unbekannter Südwesten
- 2 Verlassene Outports und unverwüstliche Neufundländer
- 3 Stille Stars in Neufundland: Codroy Valley, Port-au-Port, Bay of Islands
- 4 Neufundland: So schön kann Autofahren sein
- 5 Quirpon Island, Neufundland: Eine Insel (fast) ganz allein für mich
- 6 Wale: Zu viele, um sie zu zählen
- 7 Neufundland der Länge nach: Praktische Infos
Neufundlands unbekannter Südwesten
„Noch etwas nach rechts?“ George Francis schiebt sich die Reling entlang in die gewünschte Richtung. „So?“ Ja, genau so. Jetzt habe ich die beiden Ikonen dieser Küste gemeinsam im Bild: Den vor Ort nur als Skipper George bekannten Fischer, Touranbieter und Storyteller, und das Rose Blanche Lighthouse, den ganz aus Granit gebauten Leuchtturm und das beliebteste Ausflugsziel der Leute aus dem 80 Kilometer entfernten Port-aux-Basques. In der Kanadawerbung kommen beide kaum vor, und je mehr dieser erste Tag meiner Tour längs durch den Westen von Neufundland fortschreitet, desto mehr freue ich mich darüber. Schon die kurze Kurverei von Port-aux-Basques die herrliche Wald- und Felsenküste entlang war ein Fest für die Augen. Am Ende versickerte die 470 in einem verschachtelten Ineinander farbenfroher Häusschen, Bootshäuser und -stege, das jeden freien Meter ausfüllt und die steinigen Hänge hinaufklettert wie Ränge ein Amphitheater. An der Gabelung – in Rose Blanche gibt es nur zwei Straßen – bog ich auf die Tunnel Road ab. Diese war so eng und, dass ich fast vorausgegangen wäre, um hinter den Kurven nach Gegenverkehr Ausschau zu halten.
Verlassene Outports und unverwüstliche Neufundländer
Und nun bin ich mit Skipper George, dem Besitzer von Marine Excursions, und vier weiteren Gästen auf seiner „Resettlements Grand Tour“ unterwegs. So heißt der Tagestrip mit George´s neun Meter langer „MV Miss Georgia“ zu den verlassenen Outports Petites, Grand Bruit und West Point. Ihre Bewohner wurden von der Regierung umgesiedelt, um sie in so genannten Wachstumsgebieten zu zentralisieren. Wir genießen den ruppigen Seegang vom Heck aus, fischen Kabeljau – kleine Mengen sind trotz des noch immer geltenden Fangverbots wieder erlaubt – und sehen Karibus, einen Buckelwal und einmal auch einen Elch. „In der Kirche da oben habe ich geheiratet“, sagt George, als wir in Grand Bruit anlegen, dann grinst er. „Und auf dieser Pier wurde ich geschieden!“ Wir hören noch mehr solcher mit einem Augenzwinkern erzählte Geschichten, während wir diese geisterhaft daliegenden Orte erkunden. Allerdings handeln manche Stories auch vom Verlust der jahrhundertealten Kultur, der mit dem Moratorium einherging, von Arbeitslosigkeit, Entwurzelung, Abwanderung. Und von der typisch neufundländischen Jetzt-erst-recht-Attitüde. „Umsiedeln? Ich?“ George wohnt in La Poile, dem letzten noch bewohnten Outport in diesem Abschnitt und unserem letztem Stop. „No way. Hier ist es einfach zu schön!“ Stimmt. 80 oder so Bewohner, Plankenwege statt Straßen, gepflegte Häuschen mit niedlichen Vorgärten und eine Handvoll Hummerfänger an der Pier: In La Poile könnte auch ich es aushalten ..
Stille Stars in Neufundland: Codroy Valley, Port-au-Port, Bay of Islands
Neufundland ist eine Welt für sich – eine 110 000 Quadratkilometer große Insel, wo das Leben an rauen Küsten stattfindet und die Hälfte der rund 500 000 Neufundländer in Flecken unter 4000 Einwohnern wohnen. Die allermeisten Straßen dorthin sind kaum befahren und auf der Karte, wenn überhaupt, nur als dünne Linien eingezeichnet, die öfter denn je, sobald sie sich dem Ziel nähern, in unbeschilderte Abzweigungen ausfasern und irgendwann einfach zuende sind. Das gilt auch für den Westen Neufundlands. Wo mich solch eine Abzweigung neugierig macht, folge ich ihr. Einfach weil ich wissen will, wie es dort aussieht. Auf diese Weise entdecke ich das in Reiseblogs und -führern nie wirklich beschriebene Codroy Valley, das sich im Schutz der düsteren Long Rang Mountains zu einer wunderschönen, dem Codroy River meerwärts folgenden Parklandschaft öffnet und mit seinen über 100 Vogelarten ein Paradies für Birder ist. Auf der Port-au-Port-Peninsula folge ich, selbst Google weiß mit dem Namen nichts Gescheites anzufangen, der Abzweigung zum Park Boutte du Cap und stolpere so über die spektakulärste Steilküste, die ich bis dahin in Neufundland gesehen habe. Auch Bottle Cove und Cox´s Cove beiderseits der Bay of Islands und die Trails rund um das Lobster Cove Lighthouse bei Rocky Harbour bieten echte Aha-Erlebnisse.
Neufundland: So schön kann Autofahren sein
„Sie fahren ohne Pause. Wäre es nicht Zeit für eine Kaffeepause?“ Mein Mietwagen hat einen Müdigkeitswarner! Eine glatte Woche nach Reisebeginn analysiert er mein Blink- und Lenkverhalten und befindet, dass ich vor Sekundenschlaf gewarnt werden muss. Bürogestresst auf deutschen Autobahnen macht das vielleicht Sinn, aber auf dem geradewegs nach Norden strebenden Viking Trail (Hwy. 430)? Ich habe den St.-Lorenz-Golf zur Linken und die schroffen Long Range Mountains zur rechten, sehe Labrador aus dem Wasser auftauchen und bin die ganze Zeit über hellwach.
Quirpon Island, Neufundland: Eine Insel (fast) ganz allein für mich
Brauchen wir diese Elektronik wirklich, um sicherer, entspannter und, die Hersteller werden nicht müde das zu versprechen, produktiver unterwegs zu sein? Oder nimmt sie uns die Freude am Fahren und Entdecken, die Neugierde, Spontaneität und Lust auf Unvorhersehbares? Anderntags treffe ich Ed English, den Besitzer von Linkum Tours in Quirpon (gespr. „Karpoon“). Der Mann, der dafür bekannt ist, jeden Kundenwunsch mit „Na klar, das können wir machen“ beantwortet, ist der Letzte, den ich mir als Passagier eines autonomen Autos vorstelle. „Ich kann dich leider nicht zum Leuchtturm auf der anderen Inselseite bringen, zu starker Seegang da draußen!“ Wir haben zwei Nächte auf Quirpon Island ausgemacht, einem baumlosem, unbewohnten Inselchen vor dem Nordzipfel Neufundlands, mit Übernachtung im historischen Quirpon Lighthouse Inn, plus Wanderungen und Walbeobachtung. Doch es geht auch anders. Ed strahlt. „No Problem. Du wirst halt ein bisschen laufen müssen. Ich bringe dein Gepäck rüber, sobald ich es wieder durch die Wellen schaffe!“ Zehn Minuten später brause ich in Eds Schlauchboot im Windschatten der Insel zur Anlegestelle auf der Südseite. Die Stromleitung immer rechts behalten, sagt er noch, der Leuchtturm liege auf der anderen Inselseite. Dann ist er auch schon wieder weg, abends soll noch eine Gruppe kommen. Überall sonst gäbe es jetzt einen Zeitplan, eine Karte mit Kilometerangaben und eine zu unterzeichnende Verzichtserklärung. Hier nicht. Man sei in Neufundland, hat Ed gesagt. Die Strommasten im Auge behaltend, stapfe ich los. Was Ed nicht erwähnt hat: Sein Allrad Quad hat einen gut erkennbaren Trail hinterlassen, auf dem ich wie auf Schienen über grüne Hügel mit fantastischen Aussichten wandere. No Problem. An diesem Nachmittag nehme ich mir viel Zeit.
Wale: Zu viele, um sie zu zählen
Abends beim gemeinsamen Dinner im Lighthouse Inn erklärt Ed, was die Insel einzigartig macht. Quirpon Island liege direkt an der sogenannten Iceberg Alley, auf der Eisberge aus Grönland dank starker Meeresströmungen an der Insel vorbei nach Süden driften. Mit diesem unterseeischen Fließband kämen auch riesige Fisch- und Krillschwärme, die wiederum so viele Wale wie sonst nirgends anlockten. Für die Eisberge bin ich leider zu spät dran. Wale gibt es jedoch noch, und wie. Ich verbringe die nächsten beiden Tage auf den Klippen unterhalb des Leuchtturms. Basstölpel schießen zum Fischen wie Raketen ins Wasser, Zwergwale surfen in den Wellen, und eine köstliche halbe Minute lang beobachte ich einen Buckelwal dabei, wie er sich mit weit aufgerissenem Maul an einer schrägen Felswand reibt, indem er sich von den Wogen empor und wieder hinab tragen lässt. Abends fragt Ed, der gerade vom Reifenflicken hereinkommt und vorher mit der Gruppe wandern war, wie mein Tag gewesen ist. Unbeschreiblich, sage ich. Ed strahlt.
Neufundland der Länge nach: Praktische Infos
VERANSTALTER
www.portauxbasquesmarineexcursions.com: Resettlement Grand Tour mit Skipper George Francis
Birding by Season: Birding-Touren im Codroy Valley mit Birderin Janice Flynn, www.birdingbyseason.com
Four Seasons Tours: Angel- und Walbeobachtungstouren mit Besitzer Darren Park in traditionellem Fischerboot. www.fourseasontours.ca
ÜBERNACHTEN
Hotel Port aux Basques: Größte Unterkunft am Platz, Restaurant und Bar, gute Basis für den Abstecher nach Rose Blanche (Dort gibts derzeit keine Unterkunft!). www.hotel-port-aux-basques.com
Days Inn, Stephenville: Nüchternes Hotel, aber mit dem Killick Café (1 Main Str.) das beste Frühstück der Gegend gleich um die Ecke. www.daysinnstephenville.com
Hew & Draw, Corner Brook: Neues Boutiquehotel im grünen Stadtzentrum, mit eigener Mikrobrauerei und Pub. www.hewanddraw.ca
Neddies Harbour Inn, Norris Point (Gros Morne National Park): Hübsches Country Inn mit Restaurant an der Bonne Bay, mit Blick auf die Tablelands. www.theinn.ca
Quirpon Lighthouse Inn, Quirpon Island: Gemütliche 10-Zimmer-Unterkunft in historischem Leuchtturmwärterhaus. 3 Mahlzeiten, Schlauchboot-Shuttle. Linkum Tours/Ed English, Tel. 709 632 4677, www.linkumtours.com
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