Wandern unter der Mitternachtssonne? Durch eine Wildnis, die kaum mehr als einhundert Menschen im Jahr besuchen? Parks Canada, die Verwaltungsbehörde der kanadischen Nationalparks, bietet jetzt Wandertouren im Ivvavik National Park an der Beaufortsee an.
Inhaltsverzeichnis
- 1 In den Himmel und zurück
- 2 Selbst mit kanadischen Maßstäben ziemlich abgelegen
- 3 Grizzlies häufig, Eisbären möglich
- 4 Bärensicher: Im Sheep Creek Basecamp
- 5 Kultur und Politik mit Renie und Louisa
- 6 Dallschafen und Rentieren folgen: Tagestour zum Inspiration Point
- 7 Ivvavik National Park Ende Juni: Wandern unter der Mitternachtssonne
- 8
- 9 Weitere Informationen zum Ivvavik National Park findet Ihr hier
- 10
In den Himmel und zurück
Mervin Joe sagt nicht viel. Umso aufmerksamer hört er zu, und hin und wieder funkelt es in seinen braunen Augen amüsiert. “Wenn wir oben sind, könnt Ihr nachher sagen, schon mal halbwegs im Himmel gewesen zu sein!” Joe ist ein Inuvialuit. So nennen sich die Inuit im westlichen Teil der kanadischen Arktis. Joe ist der Guide unserer Tour und Parkranger im Hauptberuf. Seit über 20 Jahren ist er von Berufswegen hier unterwegs und kennt sich deshalb aus in dieser 10 000 qkm großen Wildnis. Umso mehr verwundert es nun, ihn nun von einer bevorstehenden Nahtoderfahrung sprechen zu hören.
Soeben haben wir die erste Prüfung, den steilen Anstieg zur Lookout Ridge, gemeistert und nutzen nun den Blick über die grünen, wie mit grünem Samt ausgelegten Berge zum Verschnaufen. Vor uns liegen 12 Kilometer (hin und zurück) durch Tundra und baumloses, steiniges Hochland. Das Ziel des Tages ist der Halfway to Heaven. So heißt der Berg, ein monumentaler, gen Himmel spitz zulaufender und von einem wild gezackten “Hahnenkamm” gekrönter Steinhaufen. “War mit einer Jugendgruppe gerade dort angekommen, als ich über Funk gefragt wurde, wo ich denn sei”, erinnert sich Joe und lächelt. “Ich sagte, keine Ahnung, aber dass wir auf jeden Fall halbwegs im Himmel seien!” Der Name blieb haften. Seitdem ist Joe mehrere Dutzend Male dort gewesen. Wird er die Wanderung dorthin nicht irgendwann leid? “No” sagt er entschieden und klingt, als wundere er sich über die Frage. “Regen, Sonne, Schnee, Hitze, Kälte, dort oben sieht´s immer anders aus.”
Selbst mit kanadischen Maßstäben ziemlich abgelegen
Der Ivvavik National Park liegt in der äußersten Nordwestecke des Yukon-Territoriums. “Ivvavik” bedeutet in der Sprache der Inuvialuit “ein Ort, wo geboren wird”. 1984 als Teil eines historischen Abkommens mit den Ureinwohnern gegründet, beschützt er einen Teil jener Landschaft, in der die rund 200 000 Rentiere der Porcupineherde seit Urzeiten zu kalben pflegen. Selbst für kanadische Verhältnisse liegt er weit ab vom Schuss. Kaum mehr als einhundert Besucher zählt der Park im Jahr. Zum Vergleich: Auf dem Gipfel des Mt. Everest stehen pro Jahr fünf Mal so viele! So abgelegen ist er, dass Joe und seine Rangerkollegen die Gipfel und andere herausragende Orte selbst benennen mussten. Vorher waren diese weitgehend namenlos. V-förmige Täler, kegelförmige Hügel und surreal geformte, aus den Berghängen und -kämmen herausragende Felsenzungen, die hier “Tors” genannt werden, erinnern daran, dass dieser Teil des Yukon von den Eiszeiten verschont blieb. Das Resultat ist eine der ältesten Landschaften des Kontinents. Und eine einmalige, extrem urzeitlich wirkende dazu.
Grizzlies häufig, Eisbären möglich
Eine Straße hierher gibt es nicht. Man fliegt ein, und zwar mit einer Twin Otter von Inuvik am Dempster Highway aus. Schon der 75-minütige Flug bietet seltene Ausblicke. Zunächst folgt der Pilot der Küste der Beaufortsee. Dann geht es in geringer Höhe nach Süden, knapp über die bis zu 1700 m hohen, dunklen British Mountains. Vor der Landung am Sheep Creek Basecamp dreht der Pilot eine Extrarunde, um die von leeren Benzinfässern markierte Landebahn zu scouten. Treiben sich dort vielleicht Dallschafe oder Wölfe herum? Oder Grizzlybären? Die Landung auf der aus dem steinigen Boden geschabten Bahn ist erstaunlich weich, der Empfang durch Joe und seine Mitarbeiter, die das Gepäck auf Quads zum unterhalb gelegenen Camp schaffen, herzlich.
Bärensicher: Im Sheep Creek Basecamp
Das Sheep Creek Basecamp besteht aus Unterkünften für die Parksangestellten, einer sparsam zu benutzenden Dusche, einem Geräteschuppen und einem kleinen Campingplatz für die Gäste. Gegessen wird im Haupthaus, die deftigen Mahlzeiten werden von liebenswerten Inuvialuit- oder Gwichin´-Köchinnen, die zugleich als “Cultural Hosts” fungieren, zubereitet. Ein elektrischer Zaun sichert das Areal: Grizzlies sind eher die Regel als die Ausnahme, Eisbären möglich.
Kultur und Politik mit Renie und Louisa
Im Übrigen sind die “Cultural Hosts” unserer Tour ein unerwarteter Bonus. Louisa, eine Gwitch`in-Indianerin um die siebzig, kocht, backt und erzählt von der Jagd auf die Karibus, damals, als sie ein junges Mädchen war. Die gleichaltrige Renie, wie Mervin eine Inuvialuit, ist ihre beste Freundin. Während sie aus getrocknetem Kiefernharz das traditionelle Allheilmittel ihres Volkes kocht, erzählt sie von den Landforderungen ihrer Leute und wie sie als Aktivistin mit Rekorder und Fotoapparat durch die Inuvialuit-Gemeinden zog, um die Ältesten zu interviewen und nach traditionellen Ortsnamen zu befragen. “Es war schon surreal”, erinnert sie sich schmunzelnd, “da hatten wir seit Tausenden von Jahren hier gelebt, und dann kam die Regierung plötzlich daher und sagte, wenn wir das nicht beweisen könnten, würden sie hier überall nach Öl bohren.” Mit ihren Feldforschungsergebnissen, die sie diversen Kommissionen in Ottawa vortrug, trug sie maßgeblich dazu bei, dass die Ölfirmen nun nur mit Genehmigung der Inuvialuit ans Werk gehen können.
Dallschafen und Rentieren folgen: Tagestour zum Inspiration Point
Die größte Attraktion für den Besucher sind die Tageswanderungen durch diese monumentale, nach allen Seiten weit offene Landschaft. Das Sheep Creek Basecamp liegt im Herzen der British Mountains. Ein gutes Dutzend herrlicher Wanderungen mit Namen wie Ridge Walk, Wolf Tors und Inspiration Point beginnen quasi vor der Haustür. Innerhalb von zehn Minuten ist man bereits über der Baumgrenze und genießt fortan die unverstellte Aussicht über die arktische, in alle Himmelsrichtungen weit offene Wildnis. Doch was heißt hier schon Wanderwege? Markierte Trails gibt es nicht, auch deshalb ist ein Guide wie Mervin Joe notwendig. Dieser führt uns nun Richtung Halfway to Heaven, über Kämme und Sättel und hin und wieder auf schmalen Pfaden, die Dallschafe und Rentiere in den losen Schiefer getreten haben, über kahle Hänge und Bergrücken. Kein Baum weit und breit. Die Aussicht ist fantastisch.
Ivvavik National Park Ende Juni: Wandern unter der Mitternachtssonne
Die physischen und technischen Anforderungen sind gering. Eine gute Kondition reicht, die Temperaturen mit durchschnittlich 14 Grad im Juni und Juli sind angenehm. Mit jähen Wetterstürzen ist allerdings zu rechnen, Schnee im kurzen Sommer kommt vor. Ein weiterer Bonus ist die Mitternachtssonne. Wanderungen während der Sommersonnenwende Ende Juni bieten ein magisches Licht und ein Hochgefühl, das mit der Gewissheit, einen Ort zu sehen, den nur wenige Menschen je zu sehen bekommen, nur unzureichend zu erklären ist. Nach einer Pause an einem Tor, den Joe Lunch Rock Café getauft hat, geht es weiter, am Dragon´s Tor, einer tatsächlich wie ein gezackter Drachenrücken aussehenden Felsenzunge vorbei und hinab auf einen breiten, in allen Gelb- und Purpurtönen geformten Sattel. Der Pfad auf den Halfway to Heaven ist nun leicht erkennbar. Im Gänsemarsch steigen wir, Mervin Joe voran, vorsichtig auf dem losen Geröll bergan. In den Tor auf dem Gipfel haben Wind und Wetter ein rundes Fenster gefressen. Was für ein Fotomotiv! Die Aussicht ist wie im “Marsianer” mit Matt Damon, das Gefühl, auf dem Dach des bis nach Feuerland reichenden Doppelkontinents zu stehen, unbeschreiblich. Joe lächelt und zückt sein Funkgerät. Auch diese Gruppe ist angekommen. Fast im Himmel.
[mappress mapid=“12″]
Weitere Informationen zum Ivvavik National Park findet Ihr hier
Offizielle Seite des Ivvavik National Park
Fünf- und siebentägige Campingtrips können dort unter “Base-Camping Trips” direkt gebucht werden. Im Preis für die beiden fünftägigen Trips sind Hin- und Rückflug ab Inuvik, die Benutzung aller Einrichtungen im Sheep Creek Base Camp, Zelte und Campingausrüstung, alle Mahlzeiten und geführten Touren enthalten. Die siebentägigen Trips richten sich an Selbstversorger. Die Buchungsemail lautet inuvik.info@pc.gc.ca.
Offizielle deutsche Webseite von Travel Yukon
Offizielle englische Webseite von Travel Yukon
Anbieter in Deutschland: www.sktouristik.de
No Comments