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Marathon mit Eisbär: Der kanadische Polar Bear Marathon in Churchill, Manitoba

Beim „Polar Bear Marathon“ rennen mehr als ein Dutzend Verrückte durch das Hoheitsgebiet der Eisbären. Kann so etwas gut gehen? Journalistin Birgit-Cathrin Duval begleitete den ersten Marathon dieser Art.

Start Polar Bear Marathon

Kurz vor Sonnenaufgang: Start zum Polar Bear Marathon in Churchill (Manitoba) | @Birgit-Cathrin Duval

Churchill: Lieber kein Hammermann beim Marathon mit Eisbären

Angst vor dem berüchtigten „Hammermann“, jenem Leistungstief, das Marathonläufer irgendwann in der zweiten Hälfte einbrechen lässt? Holger Finkernagel schüttelt den Kopf. Den Arzt aus Nordrhein-Westfalen plagen ganz andere Sorgen.

„Ich weiß nicht, ob ich mit der Kleidung zurechtkomme oder ob mir die Nase abfriert.“ Finkernagel ist ein alter Hase in der Marathonszene. Nicht nur wegen seines Alters. In den Beinen des 69-Jährigen stecken über 180 Marathonläufe, darunter vier erfolgreiche Teilnahmen am Badwater Ultra in Kalifornien, dem härtesten Extremlauf der Welt.

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Bei apokalyptischen Farben am Himmel geht es zunächst aus Churchill hinaus

Als Finkernagel die Einladung zum Marathon im Norden Kanadas erhielt, zögerte er keinen Augenblick. Ihn reizte das Abenteuer, in extremen Temperaturen einen Marathon zu laufen. Gemeinsam mit seinem Freund Christian Storch begab sich der Arzt im November in die Kälte, mitten in das Territorium des bis zu 700 Kilogramm schweren Ursus Maritimus, des größten und gefährlichsten Landraubtieres dieser Erde.

An die 1000 Eisbären kommen jedes Jahr im November zur Küste nach Churchill im hohen Norden Manitobas. Ausgehungert warten sie aufdas neu geformte Eis der Hudson Bay in Kanada, um nach Robben zu jagen.

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Achtung, Eisbären: Sicherheitshalber folgten dichtauf Begleitfahrzeuge | @Birgit-Cathrin Duval

Beim Landeanflug sieht das kleine Städtchen Churchill aus wie eine zu groß geratene Polarstation. Die Stadt zählt knapp 1000 Einwohner. Während der sechs Wochen dauernden Eisbärensaison sind die Handvoll Hotels bis aufs letzte Bett zu inflationären Preisen ausgebucht. Entlang der Hauptstraße gibt es einige Souvenirläden und Restaurants, einen Supermarkt, den „Complex“, der Gemeindezentrum und Krankenhaus vereint, und eine Landebahn für Space Shuttles, auf der bereits große Passagierjets eine Notlandung hingelegt haben.

Überhaupt ist der Ort nur per Flugzeug oder nach tagelanger Fahrt mit der Eisenbahn zu erreichen. Von Manitobas Provinzhauptstadt Winnipeg aus liegt Churchill am Ende der Welt.

Eisbär in der Nähe von Churchill, Wrack der Itaca im Eis der Hudson Bay

Eisbär am Stadtrand von Churchill, im Hintergrund das Wrack der Itaca im Eis der Hudson Bay | @Birgit-Cathrin Duval

Marathon trotz hungriger Eisbären

Im Oktober und November gilt im Städtchen der Ausnahmezustand. Dann kommen die Eisbären an die Küste, wo sie auf das Zufrieren der Bay warten. Dumm nur, dass sich dazwischen die Stadt befindet. Deshalb vergeht kaum ein Tag, ohne dass die Sirene schrillt. „Polar Bear Alert“, Eisbärenalarm. Dann tappt ein Eisbär irgendwo in der Siedlung herum. Die Wildhüter springen ins Auto und versuchen, den zotteligen Eindringling zu verscheuchen.

Sind die Bären zu aufdringlich oder gar aggressiv, müssen sie betäubt werden und landen im Eisbärengefängnis, das im beamtenkanadisch als „Polar Bear Holding Facility“ betitelt wird. Die Stadt wird rund um die Uhr bewacht, eine Eisbärenpolizei fährt Streife, Einwohner sind aufgerufen, besonders vorsichtig zu sein, Kinder lernen in der Schule, wie sie sich zu verhalten haben. Häuser werden nicht abgeschlossen und in den Autos steckt der Zündschlüssel.

Christian Storch und Dr. Holger Finkernagel kämpfen sich durch die eisigen Elemente, immer auf der Hut vor Eisbären

Christian Storch und Dr. Holger Finkernagel kämpfen sich durch die eisigen Elemente, immer auf der Hut vor Eisbären | @Birgit-Cathrin Duval

Und nun kommen 15 Läufer aus den USA, Kanada und Europa, die an der Hudson Bay rennen wollen. Es ist kein Lauf, bei dem es um Bestzeiten geht. Was zählt, ist das Abenteuer. Durchhalten und Ankommen unter extremen Konditionen und dem Nervenkitzel, einem hungrigen Eisbär vor die Füße zu laufen.

Mit den Läufern setzt sich ein Konvoi aus Geländewagen in Bewegung. Es sind freiwillige Helfer, die die Läufer unterstützen. In den Fahrzeugen befinden sich Getränke und Energieriegel. Doch die Begleitfahrzeuge haben eine noch viel wichtigere Aufgabe: Die Beifahrer halten Ausschau nach den Eisbären. Neben dem Steuer liegt eine geladene Schrotflinte. Nicht zuletzt dienen die Autos als Rettungsinsel, sollte ein Bär über die Straße tappen.

Tundra Buggy

Staunende Eisbären-Touristen im Tundra Buggy: Nein, das sind keine „Polar Bears“! | @Birgit-Cathrin Duval

Der Polar Bear Marathon als völlig neues Gipfelerlebnis

Die Morgenröte über der Hudson Bay leuchtet in apokalyptischen Farben. Erik Alexander trippelt auf seinen Laufschuhen, der Schnee knarzt unter den Sohlen. Für den 44-jährigen Bergsteiger aus Colorado gehören Abenteuer in eisigen Temperaturen zum Leben wie die Butter aufs Brot. Vor neun Jahren führte er erfolgreich den blinden Bergsteiger Erik Weihenmayer auf den Gipfel des Mount Everest.

„Das ist mein erster Marathon“, scherzt Erik nervös. Die 42 Kilometer flößen ihm Respekt ein. „Das wird ein ganz neues Gipfelerlebnis.“ Ein anderer sieht aus wie ein U.S. Navy Seal. Er trägt eine gletscherblau spiegelnde Skibrille, das Gesicht ist hinter einer Sturmhaube verdeckt. Seit der Amerikaner Mike Pierce vor sieben Jahren einen Marathon in der Antarktis lief, vermarktet sich der Motivationssprecher als „Antarctic Mike“.

Die Vorbereitungen für seine Abenteuer setzt er werbewirksam in Szene. Dafür rennt er auch mal tagelang in einem riesigen Kühlcontainer herum und lässt sich vom Fernsehen interviewen. „Solche Abenteuer kann man nicht mit Geld kaufen. Und jetzt wollen wir Bären sehen“, ruft er enthusiastisch.

Albert Martens, Organisator des Polar Bear Marathon gönnt sich bei Kilometer 21 eine Vesperpause

Albert Martens, Organisator des Polar Bear Marathon gönnt sich bei Kilometer 21 eine Vesperpause | @ Birgit-Cathrin Duval

Kampf gegen die Kälte. Und den inneren Schweinehund ..

Es ist ein langer und einsamer Lauf in einer Mondlandschaft aus Eis und Felsen. Nadelbäume, die filigranen Bonsaibäumchen gleichen, ragen bizarr geformt aus dem Permafrostboden. Eisschollen treiben ans Ufer. Ein Tundra Buggy passiert die Läufer. Die Touristen staunen – statt Eisbären springen vermummte Läufer in der Tundra herum.

Holger Finkernagel und sein Laufpartner Christian Storch kämpfen gegen die Elemente. Es schneit heftig. Bei Kilometer 30 stärken sie sich mit Früchten und Riegeln. „Goretex ist keine so gute Idee“, sagt Storch. Die Kälte steckt ihm in den Knochen. Weil der Schweiß auf der Jacke gefroren ist, wirkt sie wie ein Kühlaggregat und klebt eiskalt auf der Haut. Finkernagels Bart ist von Eis überzogen.

Der Extremsportler, der die härtesten Läufe in glühender Hitze erfolgreich beendete, wirkt müde. „Die Kälte, die macht dich wirklich fertig.“ Sie raffen sich auf, beißen die Zähne zusammen, laufen weiter, hinein in das Schneetreiben. Ein Geländewagen hält. Der Fahrer warnt vor zwei Eisbären. „Die passieren demnächst die Straße.“

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Zaungast im weißen Pelz: Die Eisbären warten auf das Zufrieren der Hudson Bay | @Birgit-Cathrin Duval

Um 16 Uhr, kurz vor Sonnenuntergang erreichen die letzten Läufer die Stadt. Churchill feiert seine Helden. Der Bürgermeister Mike Spence gratuliert und überreicht Geschenke. Eventorganisator Albert Martens ehrt die Finisher mit einer handgeschnitzten Eisbärenskulptur.

Antarctic Mike ist glücklich, aber enttäuscht, weil er keinen Eisbären gesehen hat. Und: „Eigentlich war’s ja viel zu warm.”

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Weitere Informationen zum Polar Bear Marathon in Churchill (Manitoba)

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