Kanadas Norden News

Alaska Highway: So groß ist Kanada!

Kaum bekannt: Beim Bau des Alaska Highways folgten die Ingenieure dem Verlauf einer bereits bestehenden Route. Spurensuche am Straßenrand.

Zum Abenteuer immer geradeaus: 2400 Kilometer Augenweide warten!

Tall Tales am Milepost 375

“Das ist für die Jagd auf Sasquatches.” Dan stellt die Patrone auf die Theke. Genau besehen ist es eine als Patrone getarnte grüne Thermoskanne, aber na gut, man spielt gerne mit. Kriegt man so ein dickes Projektil denn durch den Zoll? Als Andenken? “Kein Problem”, schwört er und guckt empört. Er würde das doch nicht sagen, wenn es nicht stimmte! Hat er den legendären Affenmenschen etwa selbst schon mal gejagt? Dan zuckt mit keiner Wimper. “Ja, schon oft”, sagt er und ruft über die Schulter Richtung Küche. “Ben, bring mal das Sasquatch-Gewehr!” Der Angesprochene sagt kurz “OK!” und verläßt die Küche, um die Knarre zu suchen. “Das Fleisch der Sasquatch-Weibchen ist sehr zart”, raunt das graubärtige Faktotum der Tetsa River Lodge bei Meile 375, dann verzieht er den Mund. “Das der Männchen nicht so.” Dans Blick gleitet aus dem Fenster des Souvenirshops der Lodge in den nahen Busch. “Jetzt ist gerade Brunftzeit.” Dan, sowiel wird klar, wäre jetzt lieber auf der Pirsch als Touristen zu unterhalten. Oder ..? Blitzte da nicht ein Fünkchen Humor in seinen Augen auf? Bye bye Dan, und danke auch für die Zimthefeschnecken. Die sollen ja, steht auf dem Schild draussen, die besten in diesem Teil der Galaxis sein. Die besten auf diesem Planeten sind sie auf jeden Fall: Die ofenwarm verkauften Klebedinger schmecken einfach göttlich. Da macht es nichts, dass Ben nicht mit dem Sasquatch-Gewehr zurückkommt ..

Kanadischer Straßenstau: Südlich von Muncho Lake ist mit Karibus zu rechnen .. ;)

On the rocks: Ende Mai ist der Muncho Lake bereits eisfrei – von Haufen cocktailreifer Eisklumpen am Ufer mal abgesehen .. :)

Mit Truckcamper: Komfortabel durch das Great Alone

Dieses Jahr jährt sich der Bau des Alaska Highway zum 75. Mal. Elftausend Soldaten und sechzehntausend Zivilisten trieben ihn 1942 in knapp neun Monaten durch Kanadas noch nicht kartografierten Nordwesten nach Alaska. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor im Dezember 1941 war damit die für den Kriegsschauplatz im Pazifik strategisch wichtige Verbindundung zwischen Alaska und dem Rest der USA hergestellt. Nach Kriegsende entwickelte sich die Straße, die am Mile-0-Schild in Dawson Creek in BC beginnt und offiziell in Delta Junction, inoffiziell aber weiter nördlich in Fairbanks endet, zu einer touristischen Kultstrecke. Eine Handvoll kleiner Nester und Weiler, dazwischen nichts als grandiose Natur im “the Great Alone”, der großen Einsamkeit: 300 000 Roadtripper und Camperkapitäne aus aller Welt spüren alljährlich auf der kurvenreichen Reise durch die nördlichen Rocky Mountains der Faszination des Alleinseins nach – und sind am Ende des Tages doch erleichtert, ein Motel ansteuern oder auf einen Campingplatz mit Strom- und Wasseranschluss rollen zu können. Fotogene Höhepunkte sind ausgeschildert und in -zig Broschüren angekündigt: die Karibus genannten Rentiere im Felsenlabyrinth des Stone Mountain Provincial Park, die tektonischen Verformungen und Bergschafe am jadegrünen Muncho Lake, die heißen Quellen und zotteligen Bisons in Liard Hot Springs, der immer weiter wuchernde Schilderwald in Watson Lake, der unvergessliche Rundflug über den Kluane National Park, und Schwarz- und Grizzlybären jederzeit und überall.

Gefunden auf einem Schrottplatz in Dawson Creek: Dieser Laster der amerikanischen Armee wurde im Zweiten Weltkrieg beim Bau des Alaska Highway eingesetzt. Autowracks der US-Army findet man bis heute im Busch neben dem Highway, in privaten Gärten als Dekostücke oder auf Campingplätzen wie dem HI Country RV Park in Whitehorse.

Knorrige Typen am Alaska Highway

Ob all das die Fahrt auf dem Alaska Highway noch abenteuerlich sein lässt, ist Ansichtssache. Auf jeden Fall faszinierend sind die Menschen, denen man unterwegs begegnet. “Die Straßen waren bessere Buschtrails”, erinnert sich Marl Brown an eine Autofahrt in den fünfziger Jahren. Damals Mechaniker im nahen Wartungslager der kanadischen Armee, fuhr er von Ft. Nelson nach dem 500 km entfernten Ft. Simpson in den Northwest Territories. “Schneller als 15, 20 Kilometer pro Stunde ging es nicht. Wir brauchten Geduld und gutes Sitzfleisch!” Der fast neunzigjährige Kurator des bei Meile 300 liegenden Ft. Nelson Heritage Museum schmunzelt bei dem Gedanken. “Wir sahen keinen einzigen Menschen. Nur ein Flugzeug. Plötzlich war es da und donnerte im Tiefflug über uns hinweg. Ich hätte fast ´nen Herzschlag gekriegt!” Das Museum entstand aus Marls Oldtimersammlung. Bis heute repariert und poliert der Mann mit dem schneeweißen Rauschebart seine blitzblanken Lieblinge selbst. Dem interessierten Besucher vertraut er schon mal die Schlüssel zu seinem privaten Schrottplatz an. Dort rosten auch amerikanische Armee-Lastwagen und Jeeps aus der Zeit des Highwaybaus vor sich hin. Strandgut der Zeitgeschichte, Zeugen der Veränderungen. Marl sagt: “Heute fahren die Leute ein paar Meter von der Straße in den Busch und denken, sie sind in der Wildnis. Aber das sind sie nicht. Nicht wirklich!”

Kurz vor Liard Hot Springs in Nord-BC biegt die Smith River Road zum Smith River Airstrip. Das Rollfeld war Teil der Northwest Staging Route, auf der amerikanische Jagdflugzeuge bis nach Fairbanks (Alaska) und weiter über Sibirien bis zur Ostfront geflogen wurden.

Umgefallene Bäume aus dem Weg räumen gehört auf Holzabfuhrstraßen wie der Smith River Road dazu .. :) Foto: @Birgit-Cathrin Duval

Spekulieren im Busch: Das muss es sein, das Rollfeld. Jedenfalls geht es da hinten nicht weiter. Und die rechteckigen Flächen rechts und links scheinen die Abstellflächen für die Flugzeuge gewesen zu sein ..

Northwest Staging Route: Als die Amerikaner den Russen Jagdbomber liehen

Im Double G Service, einem Truck Stop beim Meile 456 am Muncho Lake, lauscht man bei dünnem Kaffee in Styroporbechern den Unterhaltungen der Trucker über die Vorzüge der furchteinflößenden, “Moose Bumper” genannten Stoßstangengitter vor der Haube. Die heissen Quellen der Liard Hot Springs bei Meile 497 teilt man sich mit Scharen unverschämt rüstiger Senioren, die sämtliche Ersparnisse in ihre Camper gesteckt haben und nun seit Jahren als moderne Nomaden durch Nordamerika reisen: im Winter in den amerikanischen Südwesten, im Sommer nach BC und Alberta. Kurz vor der Grenze zum Yukon Territorium stellt sich dann ein Gefühl dessen ein, was der alte Marl in Ft. Nelson unter wahrer Wildnis verstand. Am historischen Milepost 514 biegt die Smith River Road zu einem alten Rollfeld ab. Schon nach wenigen Minuten quält sich die löchrige Holzabfuhrstraße durch eine monotone Gleichförmigkeit aus Hügeln und Tälern mit abgeholztem und wieder aufgeforstetem Wald darüber. Waschbretter in engen Kurven erfordern Schritttempo, hin und wieder müssen auf die Piste gestürzte Bäumchen beiseite geräumt werden. Kein Signal auf dem Handy mehr. Keiner käme im Falle eines Falles. Nach einer gefühlten Ewigkeit und jeder Menge Staub reisst der Wald plötzlich auf. Vor der Haube liegt eine ebene Fläche mit Hausruinen und Benzinfässern. Die nun schnurgerade Smith River Road überquert diesen nur von Jungholz bewachsenen Freiraum wie mit dem Lineal gezogen. War dies das Rollfeld? Dass hier mitten im Nirgendwo an einem entscheidenden Kapitel der Weltgeschichte mitgeschrieben wurde, lässt sich nur mit sehr viel gutem Willen erahnen.

In einem Buch über Fliegen im Yukon entdeckt: So sahen Buschpiloten den Smith River Airstrip noch vor 17, 18 Jahren ..

Schmuckstück: Der Hangar auf dem Watson Lake Airport stammt noch aus dieser Zeit. Am Flughafengebäude gleich daneben ist die . meines Wissens nach – umfangreichste Fotosammlung zur Northwest Staging Route zu besichtigen.

Northwest Staging Route: Ein kleines Museum für eine ziemlich große Fußnote

Denn während der Alaska Highway gerade erst begonnen wurde, herrschte im Luftraum darüber längst reger Verkehr. Die Luftroute hieß Northwest Staging Route und bestand aus einer Kette von Rollfeldern zwischen Edmonton (Alberta) und Fairbanks. Kanadische Buschpiloten hatten sie in den 1930er Jahren begonnen. Im Frühjahr 1942 begann die amerikanische Luftwaffe, auf ihr Kampfflugzeuge und leichte Jagdbomber nach Fairbanks zu überführen. Von dort wurden sie von russischen Piloten an die Ostfront geflogen, um gegen Nazi-Deutschland eingesetzt zu werden. Die Ingenieure des Alaska Highway folgten dem Verlauf dieser Luftroute. 8000 Bomber und Jagdflugzeuge wurden so bis 1945 an die Ostfront überführt, wo sie entscheidend zur Kriegswende beitrugen. Der einzige Ort auf den fast 2400 Kilometern zwischen Dawson Creek und Fairbanks, der sich mit dieser Fußnote der Weltgeschichte beschäftigt, ist der kleine Watson Lake Airport. Dort wartet im Hauptgebäude eine interessante Fotogalerie mit einzigartigen historischen Fotografien. Auch dieser Flughafen – Rollfeld und Hangar stammen noch aus dieser Zeit – war einst Teil der Northwest Staging Route.

Fotografiert auf dem Watson Lake Airport: Crashsite. Über 100 der gut 8000 Flugzeuge stürzten ab, die meisten der oft blutjungen Piloten kamen um.

Mit Gerd Mannsperger von Alpine Aviation in Whitehorse auf der – vergeblichen – Suche nach der am Mount Lorne zerschellten DC-3.

In der grandiosen Leere des Yukon Territory

Wie groß und wild und unerbittlich ist diese Wildnis denn nun wirklich? Der gesamte Alaska Highway lässt sich bequem in einer Woche absolvieren. Verpflegung, Unterkunft und Benzin gibt es alle 70 bis 100 Kilometer. Der Handyempfang ist sporadisch, der Straßenzustand durchweg gut. Doch ebensogut lässt sich der riesige kanadische Nordwesten mit dieser während der letzten Tage der Reise erlebten Episode beschreiben. Gerd Mannsperger, deutschstämmiger Buschpilot und Besitzer von Alpine Aviation am Schwatka Lake in Whitehorse, fliegt seit über 20 Jahre im Yukon und hat -zig tausend Flugstunden auf dem Buckel. Der Bitte, dicht über die Absturzstelle einer Anfang der 1950er Jahre am Mount Lorne zerschellten DC-3 zu fliegen, kommt er gerne nach. Die genaue Stelle ist allgemein bekannt, Bilder des Wracks kursieren sogar im Internet. Doch dann kreist Mannsperger eine ganze Weile ergebnislos über einem dicht bewaldeten Bergrücken unterhalb des Gipfels. Am Ende lassen ein paar weit zerstreute Schrotttfragmente die Nähe der Absturzstelle zumindest erahnen. “Muss irgendwo da unten sein”, brummt Mannsperger ins Bordmikrofon. Und dreht ergebnislos ab. Denn die Absturzstelle “irgendwo da unten” ist so groß wie siebzig, achtzig Fußballfelder. Und so unübersichlich wie die Tarifpläne der deutschen Bundesbahn ..

 

 

Mehr über den Alaska Highway erfahrt Ihr hier:

 

 

 

 

 

 

 

 

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