Kanadas Osten

Magdalenen-Inseln (Québec): Vom Winde umweht

An der Schwelle zum Nordatlantik, dort, wo man raues Inselleben erwartet, liegt in den Sommermonaten ein freundliches, sattgrünes Paradies: die kanadischen Magdalenen-Inseln ..

Rote Felsenküste am Cap Alright auf der Ile Havre-aux-Maisons

Immer guter Wind: Die Iles de la Madeleine sind ein Kitesurfer-Paradies

Die rote Leine ist das Gas, die gelbe die Bremse. Und gesteuert wird der Kite nicht mit Lenkradbewegungen wie ein Auto, sondern mit Leineziehen und -nachlassen. Aus dem Handgelenk. Soweit die erste Lektion zum Thema Kitesteuerung. „Alles klar?“ Jetzt malt Steve Mantha mit dem Zeigefinger ein stehendes Rechteck in den Himmel. „Hoch über Euch ist immer weniger Wind, weiter unten immer mehr. Passt also gut auf. Da unten kann der Kite einen von den Beinen reißen.“ Mantha, Anfang 40, aber zehn Jahre jünger aussehend, ist einer dieser Menschen, deren Leben den Normalverbraucher umgehend neidisch macht. Im Sommer arbeitet er als Kitesurflehrer für Aérosport Carrefour d´Aventures, den hiesigen Outdoorsportveranstalter. Im Winter zieht er mit Frau und Kind durch die Weltgeschichte, immer dem besten Wind nach. Und zählt, grinst er, dabei doch immer die Tage, bis er endlich wieder zurück auf diese Inseln kann. Jetzt scannt er die 20 Strandkilometer lange Leere der Plage de la Martinique und den Wind. Knapp unter 20 km/h Windgeschwindigkeit, ideal für Anfänger. Mantha streckt sich und lächelt: „Willkommen im besten Kitesurferrevier der Welt!“

Steve Mantha zeigt, wie´s gemacht wird

Und das ist kein PR-Speak. Windguru, die Wettervorhersage für Wind- und Kitesurfer in aller Welt, zählt die Iles de la Madeleine zu den weltweit zehn Orten mit den besten Windverhältnissen. Mehr als 40 Kitesurfingspots gibt es in den flachen Lagunen des Archipel, bei über 300 Kilometer Sandstrand insgesamt. Doch das ist nur eine von vielen Überraschungen, die auf den ahnungslosen Besucher niederprasseln. Der hätte nämlich hier an der Schwelle zum Nordatlantik eher eine verhangene Waschküche erwartet. Und ein paar karge Felsbrocken mit abgehärteten Überlebenskünstlern darauf. Stattdessen empfangen ihn sechs hügelige, sattgrüne Inseln, die sich schamlos aneinander schmiegen wie inzestuöses Geschwister und aus der Luft an die Florida Keys viel weiter südlich erinnern. Havre-Aubert, Cap-aux-Meules, Havre-aux-Maisons, Ile-aux-Loups, Grosse-Ile und Grande-Entrée heißen die ostkanadischen Beauties. Oder Iles de la Madeleine bzw. Magdalen Islands.

Iles de la Madeleine, Magdamen Islands, Maggies: Eine der vielen Sanddünen, die die Inseln miteinander verbinden. Könnte ebensogut auch weiter südlich sein, nicht wahr?

Sündhaft schön in Grün und Blau

Oder auch „Maggies“ bzw. schlicht „les Iles“. Lange, schmale Sandbänke verbinden sie miteinander, und auf ihnen strebt die 85 km lange Rte. 199 von einem Ende des Archipels zum anderen. Die Ile d´Entré, die siebte im Bunde, schaut dem sündhaft schönen Treiben von jenseits der Baie de Plaisance zu (Im offiziellen Entdecke-Kanada-Blog #Kanadastisch könnt Ihr meinen Bericht über Entry lesen!)  Obgleich sie Nova Scotia am nächsten liegen, gehören die Inseln zu Québec. 12 000 Menschen leben hier, die meisten französischsprachige Nachkommen der im 18. Jahrhundert aus New Brunswick und Nova Scotia vertriebenen Akadier, und in drei Gemeinden ein paar Hundert, von Schifffbrüchigen und Walrossjägern abstammende englischsprachige Insulaner.

Havre-Aubert auf der Ile du Havre-Aubert, der südlichsten der Maggies

Immer und überall: das Meer

Einmal gelandet, entweder auf dem kleinen Flughafen auf Havre-aux-Maisons oder im Fährhafen in Cap-aux-Meules, geht die geografische Amnesie schnell in pures Entzücken über. Von wegen Isolation! Man sieht: Cafés und Bistros in den Städtchen und im Hauptort Cap-aux-Meules sogar eine Minimall. Allein auf Havre-aux-Maisons ließe sich eine ganztägige Food-Tour durch die kulinarische Szene der Insel unternehmen, mit der Käserei Fromagerie Pied-de-Vent und der traditionellen Heringsräucherei Fumoir d´Antan, wo Makrele, Hering und Jakobsmuschel am Spieß gereicht werden, als Höhepunkten. Und man sieht noch: niedliche Holzhäuser allenthalben, knallrot, -gelb, -grün und auch mal -violett, auf Matten, Hängen, Hügeln.

Bei der Arbeit: Hummeressen mit netten Kollegen macht Spaß. Tatort: die Auberge La Salicorne auf der Ile Grande-Entrée. Happy to report: Verletzungen beim Kampf mit den gepanzerten Rambos blieben aus .. :)

 

Coole Kids: Die Kajak-Guide von der Auberge La Salicorne. Merci, Guillaume!

So gut wie jeder Hausbesitzer hat hier freie Sicht. Auf Sonnenauf- und untergänge und aufs Wasser sowieso. Das Meer ist nämlich immer und überall zu sehen, von der Bank im Hauptort ebenso wie von der Herrentoilette im Nobelrestaurant Table des Roy. Haupteinnahmequelle ist der Tourismus, doch auch wenn die Bevölkerung im Sommer auf das doppelte anschwillt, bleiben die „Maggies“ sie selbst. Beispielsweise können Besucher, die etwas verlieren, sich beim CFIM, dem lokalen Radiosender, melden. Der fragt seine Hörer dann, ob jemand rein zufällig Wolfgangs Handy gefunden hat ..

Meeresblick à la Maggies, auf der Ile du Havre-Aubert: Unverstellt, endlos, einfach schön ..

Künstler, Lebenskünstler, Iles de la Madeleine

Mit den Einheimischen, den Madelinots, kommt man aber auch so leicht ins Gespräch. „Sand, Wasser, Wind“, antwortet Mario Beaudoin in L´Étang-du-Nord auf Cap-aux-Meules spontan auf die Frage, was das Leben auf den Inseln so alles prägt. Der sportliche Mittfünfziger stammt aus Québec City und malt die Inseln seit seinem 18. Lebensjahr. „Ich habe in Island, Irland, überall in Kanada und zuletzt in Tunesien gemalt, aber das Licht auf den Maggies, die Brandung, die bunten kleinen Häuschen .. es ist eine echte Sucht!“ Beaudoin malt längst nichts anderes mehr. Und dabei, sagt er und blickt auf den Atlantik vor seinem Atelier in L´Étang-du-Nord, gehe es ihm von Tag zu Tag besser. Gilles LaPierre würde das unterzeichnen. Der muntere Mittsechziger chauffiert Besucher für den Fremdenverkehrsverein über die Inseln, schreibt aber lieber Theaterstücke, produziert CDs mit akadischer Volksmusik und jammt abends in den Musikkneipen des Archipels. „Da ist etwas in der Luft und in diesem Wind“, sagt er in einem unwiderstehlichen Mix aus akadischem Französisch und Englisch, „das Dich nach zwei, drei Tagen hier völlig abkoppeln lässt. Warum sonst sagen wir hier, hey, wir haben die Zeit, auch wenn wir die Uhrzeit nicht wissen!“

Fahrer, Musiker, Journalist, Theaterproduzent: Voilà, M. Gilles LaPierre°

Apropos Wind. Auf der Plage de la Martinique überreicht Steve Mantha nun die beiden Griffe des Lenkdrachens. Der Wind ist eher eine leichte Brise, doch kaum steigt der Kite senkrecht nach oben, zerrt er den Novizen mit einem heftigen Ruck aus dem Gleichgewicht. Anfangs crasht der Kite ein paar Mal brutal auf dem Strand. Doch dann lernt man die Sache mit der Höhe, den Windgeschwindigkeiten und den Handgelenken. Spürt die ungezähmte Power des Windes im ganzen Körper, während man den Kite im Sturzflug dem Sand entgegen rasen lässt, nur um ihn im allerletzten Moment abzufangen und zurück in den blauen Himmel zu schicken. Was für ein Glücksgefühl! Steve lächelt. Im Les Pas Perdus seien abends viele Kitesurfer, die erzählten gern und viel vom Spiel mit den Elementen. Gerne, Steve. An der Musikkneipe in Cap-aux-Meules ist man ja schon ein paar Mal vorbeigekommen ..

 

 

Mehr über die Iles de la Madeleine in Québec erfahrt Ihr hier

  • Anreise: Zahlreiche Fluglinien fliegen Montréal täglich an, z. B. Lufthansa und Air Canada. Von dort mit Air Canada weiter nach den Iles de la Madeleine. Oder mit Pkw nach Souris (Prince Edward Island) und dort mit der Autofähre weiter nach Cap-aux-Meules
  • Kitesurfing-Veranstalter: Aerosports 
  • Unterkunft: Das Ferienresort La Salicorne bietet Seakayaking, Tauchen und viele weitere Outdooraktivitäten an. Die gemütliche Unterkunft La Butte Ronde Couette et Café befindet sich einer umgebauten Schule. Auch gut: Das moderne Chateau Madelinot 
  • Auskunft: Tourisme Ile de la Madeleine und Québec maritime

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