Endstation. Für mich jedenfalls. Der Trail nach dem Felsvorsprung, der weit in die Sluice Box Rapids ragt, besteht nur noch aus losem Geröll. Damit ist verlässliche Haftung unter den Stiefeln fortan Fehlanzeige.
Die Aussicht, auf dem ohnehin stark geneigten Pfad abzurutschen und in das turbulente Kehrwasser unter mir zu stürzen, treibt meinen Puls in die Höhe. Einmal dort, würde ich sofort in die Strömung getrieben und in den gut hundert Meter weiter tobenden Fällen “entsorgt”. Kein Mensch würde mich je wiedersehen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zu Besuch in Nahanni National Park Reserve
- 2 Tagesauflug mit dem Wasserflugzeug – Bushpilot´s Paradise
- 3 South Nahann River: Düster dräuend, schrecklich schön
- 4 Nahanni-Plateau: Kopflose Leichen und ein verschwundener Indianerstamm
- 5 Bad im Little Doctor Lake: Die Schwimmer der Cessna als Sprungbretter
- 6 Weitere Informationen zu diesem TagesausFlug in das Nahanni National Park Reserve
Zu Besuch in Nahanni National Park Reserve
Ich beschließe umzukehren. Zugleich ärgere ich mich scheckig: Der von uns angesteuerte Vorsprung ist so groß wie ein Basketballfeld und ein genialer Aussichtspunkt. Wer es bis dorthin schafft, steht quasi mitten drin im Inferno und schaut zu, wie sich der haushoch aufbäumende South Nahanni River die fast 100m hohen Virginia Falls hinab in den Schlund des Fourth Canyon stürzt.
Missmutig taste ich mich zurück und lasse die anderen vorbei. Zehn Minuten später stehe ich wieder oben auf dem Kreidefelsen. Die Aussicht von hier oben versöhnt mich ein wenig. Unterdessen habe es meine Mitreisenden geschafft. Sie stehen unmittelbar vor einer Wand aus weißer Gischt, umgeben von grauschwarzen Felsen und winzig klein. Ein fantastischer Anblick voll roher Kraft und herber Schönheit.
Unser Pilot Dave bugsiert sie zum Gruppenbild und gibt mir das Ok-Zeichen zum Fotografieren. Alle sind pitschnass. Alle strahlen. Ich auch. Ein tolles Bild!
Tagesauflug mit dem Wasserflugzeug – Bushpilot´s Paradise
Das Nahanni National Park Reserve gehört zu den Kronjuwelen im kanadischen Parksystem. Es liegt in der Südwestecke der Northwest Territories und ist mit über 30 000 Quadratkilometern so groß wie Belgien – reichlich Raum also für eine landschaftliche Vielfalt, deren Höhepunkte die spektakuläre Ragged Range sind, und der South Nahanni River mit den Virginia Falls sowie vier bis zu 1000m tiefen Canyons weiter flussabwärts.
Straßen hierher gibt es nicht. Parkbesucher müssen entweder hineinwandern oder ein Wasserflugzeug chartern. Basen gibt es in Muncho Lake, Watson Lake, Yellowknife und Ft. Simpson. Zwischen 400 und 800 Besucher pro Jahr registriert die Parkverwaltung, davon sind viele Paddler und Rafter, die sich zu Put-Ins am South Nahanni River fliegen lassen.
Mehrheitlich sind es jedoch Tagesausflügler wie wir, die in Ft. Simpson am Mackenzie River über Planken im Schlick zu ihrem 5-sitzigen Wasserflugzeug balancieren, um mit Buschpiloten wie Dave für ein paar Stunden die Zivilisation gegen kaum berührte Wildnis einzutauschen. Dave, in Teva-Sandalen und braun gebrannt, hat seine weißblaue Cessna gerade aufgetankt und rutscht zur Begrüßung von den Tragflächen herunter.
“Good choice”, sagt er strahlend und schüttelt jedem die Hand, “gute Entscheidung.” Bevor er in Ft. Simpson anfing, war Dave fünf Jahre lang als Buschpilot in Ostafrika unterwegs. Doch das Nahanni National Park Reserve, sagt er, schlage alles. Jeder Flug sei anders, jeder neu. Es scheint, als freue sich Dave noch mehr als wir. Die Spannung steigt.
South Nahann River: Düster dräuend, schrecklich schön
Der South Nahanni River ist das Herzstück des Nahanni National Park Reserve. Von den Mackenzie Mountains an der Grenze zum Yukon Territory fließt er 580 km in südöstlicher Richtung über das Nahanni-Plateau, bis er bei der Dene-Siedlung Nahanni Butte in den Liard River mündet. So vielseitig und spektakulär sind seine Ufer, dass der Park 1978 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurde.
Von mir aus verdient er auch eine Auszeichnung für das beste Filmskript. Der in weiten Schleifen über das Nahanni-Plateau mäandernde Fluss bietet einen schönen, aber auch nachdenklich stimmender Anblick: Düster dräuende Canyons, fast schwarze Gipfel, Wasserfälle wie Skelettfinger und spärlich begrünte Täler, die das Tageslicht nur kurz zu streifen scheint, alles da unten scheint sich zu einem finsteren Stillleben zusammenzufügen, das schreckliche Geheimnisse heraufbeschwört.
“Kein Wunder, wenn die Täler Valley of No Return, Deadmen Valley und Headless Creek heißen”, kommentiert Dave unsere beklommenen Mienen.
Nahanni-Plateau: Kopflose Leichen und ein verschwundener Indianerstamm
Während er die Cessna in weiten Kurven über diese grausam schöne Landschaft lenkt, erzählt er uns die bekannteste der vielen kursierenden Schauergeschichten. Sie handelt von Gold, Gier und den McLeod-Brüdern, die hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach dem gelben Metall suchten. 1905, so heißt es, seien sie mit einer Flasche voller goldhaltiger Kiesel vom Nahanni wieder in der Zivilisation aufgetaucht.
Natürlich verloren sie kein Wort über die Fundstelle. Im Frühjahr darauf zogen sie mit einem Partner wieder flussaufwärts. Zwei Jahre später wurden die sterblichen Überreste der Brüder an der Mündung des Deadman´s Valley in den South Nahanni River gefunden – kopflos, die Rumpfe an Bäume gebunden und mit einer Notiz versehen, wonach die McLeods tatsächlich Gold gefunden hatten. Weitere Digger verschwanden spurlos, selbst ein ganzer Indianerstamm, die Naha, soll hier vom Erdboden verschluckt worden sein. Dave dreht sich zu uns um und grinst.
“Ist nur ´ne Legende.” Wir atmen auf, aber Dave legt nach. Soeben fliegen wir über den gewaltigen, über 1000m tiefen First Canyon. “Allein da unten gibt es über 200 Höhlen”, erklärt Dave. “Die Grotte Valerie ist die berühmteste. In einem ihrer Tunnel verliefen sich über 100 Dall-Schafe. Sind glatt verhungert, die armen Viecher ..“
Die Virginia Falls tauchen rechtzeitig vor einem ernsthaften Stimmungsumschwung auf. Unterhalb der Fälle pflegen Kanu- und Raftingexpeditionen ihre mehrtägigen Touren flussabwärts zu beginnen. Oberhalb, in einer aerodromartigen Ausbeulung des Nahanni-Tals, wassern die Wasserflugzeuge nach einer steilen 180-Grad-Kurve und gehen an einer schwimmenden, von Parks Canada in Schuss gehaltenen Pier vor Anker.
In Ft. Simpson haben wir gehört, dass es immer wieder Expedtionsteilnehmer gibt, die behaupten, nicht böse zu sein, wenn ihr Trip bereits nach der Wasserung zu Ende wäre – so beeindruckt sind sie von diesem Anflug. Und tatsächlich: Dave hielt geradewegs auf die Fälle zu, touchierte fast, die Kufen dicht über dem Inferno, ihre Gischtwolke und schenkte uns den vollkommensten Regenbogen, den wir je gesehen haben.
Die anschließende Kurve war so steil, dass wir nahezu senkrecht auf den Fluss hinabblicken ..
Wir erleben noch zwei weitere unvergessliche Anflüge an diesem Tag. Nach den Virginia Falls nehmen wir Kurs auf die Ragged Range. Eine selbst für hiesige Verhältnisse entlegenen Gegend in den Logan Mountains. So entlegen ist dieses Gebiet, das der hier stehende höchste Gipfel der Northwest Territories noch keinen Namen besitzt und bis zu seiner offiziellen Taufe als “Un-named Peak” firmiert .
Bei immerhin stolzen 2773 m ein kleines Wunder! In unseren Kopfhörern knistert es. “Bringt Eure Kameras in Anschlag”, empfiehlt Dave, “jetzt kommt mein Lieblingsanflug.” Umgeben von grauen Bergwänden, gleiten wir im Sinkflug in ein immer enger werdendes Tal. Am Talende liegt der langgesstreckte, smaragdgrüne Glacier Lake, dahinter ragt fast senkrecht der graue Monolith des Mount Harrison-Smith auf. Vor einer Kiesbank legen wir an und vertreten uns die Beine.
“Von hier aus ziehen Bergsteiger hinüber zum Cirque of the Unclimbables”, sagt Dave und nickt zu einem Punkt am gegenüberliegenden Ufer hinüber. Gleich hinter dem schmalen Uferstreifen beginnt eine steile Geröllhalde, auf der schwach ein Trail erkennbar ist. Hinter dem Sattel und für uns leider nicht einsehbar beginnt der Cirque – eine Versammlung riesiger Granittürme, die Alpinisten angeblich Glückstränen in die Augen treiben.
Erst 1955 wurde dieser Abschnitt der Ragged Range erstmals besucht und hat seitdem natürlich längst keine “unbesteigbaren” Gipfel mehr – für uns dennoch ein Wildnis-Erlebnis der ganz besonderen Art.
Bad im Little Doctor Lake: Die Schwimmer der Cessna als Sprungbretter
Danach tut uns der Little Doctor Lake fast leid. Denn hätten wir ihn an diesem Tag zuerst angeflogen, wären wir bei seiner Ansicht in Ooohs und Aaahs ausgebrochen. Doch am Ende dieses Tages registrieren wir ihn nur mit müdem Interesse. Dabei ist der Anflug durch eine v-förmige Kerbe in den Ramparts, einer von mehreren gewaltigen Kalkstein-Mesas, nicht weniger spektakulär als die vorherigen beiden Landungen.
Dave schippert die Cessna unmittelbar vor die Nahanni Mountain Lodge, eine urige, typische “Fly-In-Lodge”, wie es sie viele gibt hier im Norden. Sie besteht aus vier Blockhütten in einem lichten Wäldchen, einem Gemeinschaftshaus und Picknicktischen – und verfügt über einen Sandstrand mit flachem, unverhältnismäßig warmen Wasser. Wir lassen alles stehen und liegen, streifen erst die Schuhe ab, dann die T-Shirts, und dann den Rest.
Das Wasser ist klar und kühl, aber nicht kalt. Während die untergehende Sonne über die Ramparts rollt und die ersten Sterne am Himmel auftauchen, benutzen wir die Schwimmer der Cessna als Sprungbretter.
Weitere Informationen zu diesem TagesausFlug in das Nahanni National Park Reserve
- Nahanni National Park Reserve: http://www.pc.gc.ca/pn-np/nt/nahanni/index.aspx
- Simpson Air: http://www.simpsonair.ca/
- Mackenzie Rest Inn: http://www.mackenzierest.ca/
- Northwest Territories Tourism Deutschland: http://www.spectacularnwt.de/
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