Goldsucher, Rancher, indianische Ureinwohner: Die Menschen in den kanadischen Kootenays erzählen spannende Geschichten aus ihrem Leben hinter und vor den Bergen. Massentourismus gibt es hier bislang nicht – obwohl die Landschaften spektakulär sind.
In den kanadischen Rocky Mountains, wo viele Lodges mit ihrer wildromantischen Kulisse verschmelzen wie ein Wolf mit dem Wald, wirkt das St. Eugene Mission Resort & Casino zwischen Cranbrook und Fort Steele wie ein eigentümlicher Fremdkörper. Ganz aus grauem Stein und gekrönt von einem roten Dach mit Glockenturm und Kruzifix, sitzt es dick und schwer auf dem Ufer des St. Mary´s River und erinnert dort mehr an eine abweisende Festung als an einen einladenden Unterbringungsbetrieb – wenn der 18-Loch-Golfplatz nicht wäre, die schönen weißen Sonnensegel für die Gäste, die vielen lachenden Menschen.
Dass dies keine Herberge im hier üblichen Viel-altes-Holz-und-Leder-in-toller-Lage-Stil ist, sieht also selbst ein Blinder. Und Herb Alpine wäre der Letzte, der widersprechen würde. Aber das weiß man erst später. In diesem Augenblick sagt Alpine erst einmal gar nichts, sondern schweigt. Er schweigt so lange, bis sein Gegenüber, ein auf permanentes Geschnatter programmiertes Bleichgesicht, unruhig wird. Hat er die Frage nicht verstanden? Kommt da noch etwas? Kein Wort, keine Gefühlsregung verlässt sein bronzefarbenes Gesicht.
Dann plötzlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, setzt Alpine seinen schweren Körper in Bewegung. Er schlendert durch die Lobby, nickt den jungen Frauen hinter der Rezeption freundlich zu und bleibt an der gegenüberliegenden Wand vor einem Gemälde stehen. Es zeigt eine alte Frau, die liebevoll eine Katze streichelt. “Unsere Älteste Mary Paul”, sagt Alpine leise, aber nachdrücklich, “sie wollte, dass wir uns zurückholen, was uns damals genommen wurde. Und genau das haben wir getan.“
Inhaltsverzeichnis
St. Eugene Mission Resort & Casino: Zurückholen, was genommen wurde
Was folgt, ist eine ergreifende Geschichte – und typisch für Momentaufnahmen unterwegs in den Kootenays. So heißen die südlichen Rocky Mountains kurz vor der amerikanischen Grenze. Die großen Touristenströme mit ihren Mietwagen, Wohnmobilen und Greyhound-Bussen, sie fließen viel weiter nördlich, fest im Bann kanadischer Symbole wie Banff, Jasper und Icefields Parkway. Die Südwestecke Albertas hingegen und der sie berührende Südostzipfel des Nachbarn British Columbias werden meist links liegen gelassen. Für den abenteuerlustigen Reisenden, dem voraussagbare Resortstädte mit zugezogenen Dot.com-Millionären ein Gräuel sind, ist das ein Glück. In diesen weniger bereisten Extremitäten von Kanadas Vorzeige-Provinzen kann er kleine Nester genießen, in denen der Tourismus nur eines von mehreren Standbeinen ist und die Einheimischen noch nicht von explodierenden Lebenshaltungskosten vertrieben wurden. Kein Trans Canada Highway, sondern zweispurige Landstraßen durch enge Täler laden zur gemächlichen Zuckelei durch grandiose Wildnisgebiete wie den Waterton Lakes National Park, der seit Jahrzehnten einfach nicht über den Status eines Geheimtipps hinaus zu kommen scheint. Lokalkolorit pur also. Ungeschönt, ungeschminkt. Kontakt zu Einheimischen muss nicht gesucht werden. Er passiert einfach. An Tankstellen, in General Stores, in kleinen B&B´s. Und früher oder später geschieht dann, was auf solchen Roadtrip immer passiert. Man hört Geschichten, fragt nach, und hört noch mehr.
Residential Schools: Kanadas Schandmal
Wer also behutsam nachfragt, dem erzählt Alpine seine Geschichte. Vielleicht. Heute kann der Älteste vom Stamm der Ktunaxa-Indianer das, er hat das Geschehene mit professioneller Hilfe verarbeitet. Seit neun Jahren nämlich ist das St. Eugene Mission Resort & Casino erst ein Hotel. Davor war das einhundert Jahre alte Gebäude eine “residential school”. Hinter dieser harmlos klingenden Bezeichnung versteckt sich eine nationale Tragödie. So versuchte die kanadische Regierung mithilfe staatlicher und kirchlicher Internatsschulen bis in die siebziger Jahre, der Urbevölkerung das Indianersein auszutreiben. Kinder wurden dazu ihren Eltern weggenommen und in Schulen fern der Reservate gesteckt. Dort lernten sie Englisch – und wurden verprügelt, sobald sie ihre eigene Sprache benutzten. Was sonst noch hinter den oft dicken Mauern geschah – Zwangsarbeit, Misshandlungen, sexueller Missbrauch – gelangte erst in den 90er Jahren an die Öffentlichkeit.
Unter den Folgen leiden Tausende von Indianern bis heute. Besonders heftige Kritiker dieser staatlich verordneten Zwangsumerziehung sprechen deshalb sogar von Völkermord. Doch so weit geht Herb Alpine nicht. Auch er, sagt er, habe in St. Eugene Schlimmes durchgemacht. Doch das sei in den vierziger Jahren gewesen, als die Mission noch keinerlei Kontrolle unterlag. Sein Stammesbruder Gordie Sebastian, der ebenfalls hier, allerdings viel später, die Schulbank drückte und heute Touristen durch das Resort und das kleine Museum führt, habe auch positive Erfahrungen gemacht. Anfang der neunziger Jahre erwarben die Ktunaxa das Gebäude und verwandelten es in ein Resort. Alpine schaut Mary Paul in die Augen und lächelt. “Damit sind wir wohl die einzigen Ureinwohner in Kanada, die ein Symbol unserer Unterdrückung in einen Motor für die Modernisierung unseres Reservates verwandelt haben!”
Mountain Meadow Trail Rides: Wo Kinder schnell erwachsen werden
In der Regel beginnt eine Reise durch die Kootenay Rockies auf dem Flughafen von Calgary (Alberta). Von hier aus sind es zunächst zwei Stunden mit dem Auto bis ins “Cattle Country”. Die Alberta Foothills sind eine hügelige, von Flussbetten zerfurchte Graslandschaft zwischen Prärie und Rockies. Siedlungen liegen weit auseinander, die Ranches noch weiter. In Mountain View, eher eine Ansammlung von Koppeln und Scheunen, züchten die Nelsons seit vier Generationen Rinder und Pferde. Seit ein paar Jahren reiten Dan, Terri und ihre Tochter Tammi auch mit Gästen aus. Dan ist Anfang 60, hat sein ganzes Leben im Sattel verbracht und sich so ziemlich alle Knochen gebrochen, die es in diesem Metier zu brechen gibt.
Für ihn gehört das zum Alltag hier draußen wie Rindermist und Schwielen an den Händen. “Yeah, war´n ziemlich dummes Pferd”, sagt er etwa bei Steak und Kartoffelmus, “fiel immer hin. Musste 20 km mit `nem schlimmem Fuß nach Hause gehen.” Tochter Tammy, stämmig und rotbäckig, eine preisgekrönte Rodeo-Reiterin, schaut mit Dan´s Enkelsöhnchen herein. Der Kleine ist noch nicht sicher auf den Beinen und fällt erst einmal recht unsanft auf die Nase. Niemand rührt einen Finger, eilt entsetzt herbei. Der Kleine verzieht keine Miene und steht selbst wieder auf. Dan, der gerade von den Coulées, den Flusstälern, in denen bei Wolkenbrüchen schon so manche Rinderherde ertrunken ist, erzählt, lächelt. “Hier draußen wirst Du schnell erwachsen. Und dann machst Du die Arbeit, die gerade anfällt.”
Von den Foothills aus bohrt sich der Highway 3 durch den Crowsnest Pass behutsam in die Ostflanke der Front Range. Die ihn begleitenden Nester wurden vor über einhundert Jahren auf Kohle gebaut. Viele leben noch immer vom schwarzen Gold, Crowsnest Pass zum Beispiel, eine lange Reihe lose zusammenhängender Siedlungen, teils noch in Alberta, teils schon in British Columbia, adrette Häusschen neben windschiefen Klitschen, Bobby Cars und Autowracks in den Vorgärten, dazu Tankstellen, Diner und General Stores, die auch Brennholz verkaufen und als Postämter dienen. Mehrmals hat die Regierung von Alberta schon versucht, die Hiesigen von den Vorteilen eines Provinzparks über Crowsnest Pass zu überzeugen. Bislang ohne Erfolg. Denn niemand hier lässt sich von Leuten “from away” vorschreiben, wann und wo er/sie mit seinem/ihrem Quad spielen darf.
Crowsnest Pass: Kein Starbucks hier
Auch Fernie zu Füßen der schneebedeckten Lizard Range steht auf Kohle. Und auf Fremdenverkehr, mehr und mehr. Skifahrer im Winter, Mountainbiker im Sommer. Doch damit dem 4000-Seelen-Städtchen mit der hübschen Frontierarchitektur an der Second Avenue die Überfremdung durch den Tourismus erspart bleibt, denken sich Verwaltung und Geschäfte immer wieder neue Aktionen aus. “Seit Anfang Juni laden wir Einheimische und Gäste zu den Sunday Downtown Socials ein”, sagt Mark Gallup. Mark ist Exteme-Ski-Fotograf und arbeitet auch für das Outdoorgeschäft The Guide´s Hut an der Second Avenue. “Die Hauptstraße wird dann für den Verkehr gesperrt und in eine Bühne für Musiker, Selbstdarsteller und andere `Dudes´ umfunktioniert.” Mark zwinkert, als er das sagt. Natürlich meint er die Mountainbiker. Die sind gerade dabei, Fernie in das nächste MB-Mekka zu verwandeln. Über 200 km erstklassiger Singletracks in den Bergen über Fernie gibt es bereits, seit 2002 ist Fernie zudem Startpunkt des 600 km langen MB-Rennens über die Berge nach Canmore. Durchziehenden Mountainbikern stellt Mark auch schon mal seinen Garten als Zeltplatz zur Verfügung. “Letztes Jahr hatte ich diesen verrückten German”, grinst er . “Der kam aus Mexiko, benutzte nur unbefestigte Logging Roads und wollte nach Alaska. Oder Yukon. Oder die Northwest Territories. So genau wusste er das da noch nicht. War so ein netter Kerl .. !”
Auch das breite Columbia Valley, das vor der Haube auftaucht, sobald die St. Eugene Mission im Rückspiegel verschwindet, ist für spannende Geschichten gut. In Fort Steele, das im 19. Jahrhundert als Goldgräberboomtown zu Füßen der Kootenay Rockies begann und heute ein Museumsstädtchen ist, zeigt ein echter Digger, wie man Golf wäscht. Hin und wieder purzelt dabei ein schweres Goldnugget, das er an einer Kette um den Hals trägt, aus seinem Hemd. Auf die Frage, woher er es hat, pflegt er nur “No Comment” zu sagen. Oder, wenn man Glück hat, mit ausgreifender Geste zu den Bergen hinüber zu zeigen und “Von dort!” zu murmeln. Und von “schwerem Gerät, sonst kommt Du mit dem Goldwaschen auf keinen grünen Ast” ..
Von Fort Steele nach Golden
Vier Nationalparks zählt die nach den Kootenays benannte Tourismusregion, Yoho, Kootenay, Mount Revelstoke und Glacier. Paradiesische Verhältnisse für Kanadas wilde Tiere? “Komisch, dass Ihr Wölfen in freier Wildbahn am ehesten bei uns begegnet, was?” fragt Casey Black ironisch und öffnet die Heckklappe seines Truck. Langsam kommt eine schwarze Schnauze zum Vorschein, gefolgt von einem grau-schwarzem Kopf mit zwei bernsteinfarbenen Augen. “Hallo Maya”, sagte Black leise und tritt beiseite. Maya, die Wölfin, lässt sich nicht zweimal bitte und springt von der Ladefläche auf den Weg. Einen Lidschlag später ist sie im dichten Unterholz verschwunden. Dass sie wiederkommen wird, steht für “Alpha-Tier” Casey außer Frage. Der bullige Mann bekam sie, als sie noch in der Prägephase war. Gemeinsam mit seiner Frau Shelley betreibt er das Northern Lights Wildlife Centre in Golden. Dort erklären sie den staunenden Besuchern, dass ihre Timberwölfe Aspen, Mayam Tuk, Wiley und Moab, die hier in einem 5000 qm großen Gehege leben, keine blutrünstigen Bestien sind, sondern intelligente, soziale, liebevolle und oft verspielte Individuen. Und dass Wölfe in Kanada leider Freiwild sind und von den Farmern als Ungeziefer angesehen und abgeknallt werden. Nur in den Nationalparks stehen sie unter Schutz, doch in den vier zusammenhängenden Parks Banff, Jasper, Yoho und Kootenay leben insgesamt nur noch gerade 60 Wölfe. “Selbst da sind sie nicht sicher”, sagt Casey und redet sich in Rage. Nennt den Trans Canada Highway und die Eisenbahn durch den Banff National Park die größten Wolfskiller – zuletzt wurde im Juni 2011 dort die Leitwölfin des einzigen Rudels überfahren – und erzählt von einem Projekt, an dem sein Wolf Centre beteiligt ist. “Wir kämpfen für die Errichtung 50 km breiter Pufferzonen rund um die Nationalparks”, sagt er und trommelt auf seiner Fleischbüchse. “Wenn die auch nur einem einzigen Wolf das Leben retten, haben sie sich schon gelohnt.” Auf der anderen Seite des Gebirgsbaches öffnet sich das Gebüsch, und Maya kommt hervor. Unentschlossen schnürt sie am Ufer auf und ab. Casey und Shelley sind die Einzigen, die solche “walks with wolves” anbieten. Nach einer Weile bittet Casey seine Gäste, allein zum Wagen zurückzumarschieren. “Sonst kommt sie nicht über den Bach”, schmunzelt er, und irgendwie scheint ihn das auch zu freuen. “Da ist immer noch viel Wildnis in ihr!” Das könnte man auch über diese ganze Gegend sagen ..
Weitere Infos zu den Kootenay Rockies gibt es hier:
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St. Eugene Mission Resort: www.steugene.ca
Mountain Meadow Trail Rides: www.mountainmeadowtrailrides.com
Prince of Wales Hotel: www.mywaterton.ca/PrinceofWalesHotel.cfm
Farview River to Peaks Inn: www.rivertopeaks.com
Kootenay Rockies Tourism: www.krtourism.ca
Destination British Columbia: www.hellobc.com
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