Montréal im Januar 1998. Überall umgestürzte Bäume und abgebrochene Äste. Ein Leitungsmast ist auf ein Auto gefallen. Das Auto ist ausgebrannt, der Besitzer war glücklicherweise einkaufen ..
Die kanadische Armee bringt 12000 Mann im Großraum Montréal in Stellung, die bis heute größte Operation in Friedenszeiten. Nur noch wenige Viertel in der Metropole haben Strom, und das bei minus 35 Grad Celsius. In der gesamten Downtown ist es finster. Auf dem Höhepunkt der schlimmsten Naturkatastrophe, die der Osten Kanadas je erlebt hat, waren in der Provinz Québec drei Millionen Haushalte ohne Strom. Über 100 Städte und Dörfer im Süden und Osten von Montréal waren buchstäblich zu Eis erstarrt. Bilanz von Hydro Québec, der von der Provinz betriebenen Elektrizitätsgesellschaft: 300 umgeknickte Strommasten. Nachher kalkulierten die Versicherungsgesellschaften 1,5 Mrd. Dollar an Schadensersatzansprüchen. 7000 Quadratkilometer Wald wurden vernichtet, mehr als beim Ausbruch des Mount St. Helens im Us-Bundesstaat Washington.
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Québec im Januar 1998: Tempete de Verglas, Ice Storm
Dabei war der Eissturm, der in den ersten beiden Januarwochen den Süden Québecs lahmlegte, gar kein Sturm, sondern ein Eisregen. Warme Luftmassen lagen tagelang über kalten. Der aus ihrer Berührung hervorgehende Niederschlag gefror noch ehe er den Boden erreichte. Für uns klang das wie auf den Küchenboden gestreute Reiskörner. Die Auswirkungen dieses so fadenscheinig daher kommenden Naturphänomens waren katastrophal: Stadt und Land wurden mit einer Eisschicht versiegelt. Was zunächst fotogen in der Sonne funkelte, erwies sich wenig später als tödliche Glasur. Bäume, die mit einer Eisschicht von einem Zentimeter leicht fertig werden, waren plötzlich von vier Zentimetern eingehüllt – und knickten wie Streichhölzer. Für Eisschichten von bis zu drei Zentimetern konstruierte Hochspannungsmasten brachen unter der zentnerschweren Last zusammen und rissen andere Masten mit sich.
Eissturm 1998: Die kritischen Fragen danach
Der Wiederaufbau im “Triangle du Diable” (Teufelsdreieck) dauerte bis Ende Januar, manche Gemeinden gingen sogar erst Mitte Februar wieder ans Netz. Hydro Québec, das seit fast 30 Jahren das Energiemonopol besaß und bis dahin in der Provinz fast mythische Verehrung genoss, musste sich unangenehme Fragen gefallen lassen. War der Blackout wirklich nicht zu verhindern gewesen? Fünf Punkte wurden besonders heiß diskutiert, insbesondere die standhafte Weigerung der Gesellschaft, die Stromleitungen endlich unter die Erde zu legen, sowie die Bevorzugung einer geringen Zahl von Hochspannungsleitungen anstelle mehrerer Stromleitungen mit niedrigerer Spannung, und die mangelhafte Anbindung Québecs an die Stromnetze der Nachbarprovinzen, wo leicht Ersatz hätte beschafft werden können. Auch die gewaltigen Entfernungen, so Kritiker, machten die Energierversorgung Québecs störanfälliger als solche Systeme, bei denen die Konsumenten ihre Energie aus Kraftwerken in der näheren Umgebung bezögen.
Unter normalen Bedingungen wird Montréal von fünf 735 Kilovolt-Hochspannungsleitungen rund um die Ile-de-Montréal versorgt. Auf dem Höhepunkt des Eissturms war nur noch eine Einzige funktionsfähig. Hätte der Eissturm auch diese gekappt, wäre das ein nationales Desaster gewesen. Und so sah man denn auch “nur“ Bilder von halb erfrorenen alten Menschen, die von Soldaten aus ihren vereisten Wohnungen getragen wurden, überfüllte, in Auffanglager umfunktionierte Turnhallen und weinende, mit der Notstandssituation völlig überforderte Menschen ..
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