Kanadas Osten

Im Lighthouse Inn auf Quirpon Island: Da taucht er!

Ab Frühjahr ziehen Eisberge vor der Haustür vorüber, ab Sommer heißt es Wale zählen. Das Lighthouse Inn ist die einzige Unterkunft auf Quirpon Island in Neufundland und eine der abgelegensten in Kanada.

Quirpon Island. Noch weiter nördlich geht es in Neufundland nicht. Die Grönland-Wikinger werden die Insel gekannt haben. Bekanntlich gingen sie vor tausend Jahren elf Kilometer südwestlich der Insel in L´Anse-aux-Meadows an Land ..

„Hallo? Ist jemand zu Hause?“

Um hierher zu gelangen, bin ich an diesem Spätsommertag den über 400 Kilometer langen Viking Trail (Rte. 430) die Northern Peninsula hinaufgefahren, an der 436 nach L´Anse-aux-Meadows und fünf Kilometer vor der Wikinger- und Unesco-Stätte nach Quirpon abgebogen. Auf meinem Roadtrip von Rose Blanche im äußersten Südwesten der Insel bis hierher hat mir ein Tankwart beigebracht, das Quirpon „Karpoon“ ausgesprochen wird und sich mit „harpoon“, dem englischen Wort für Harpune, reimt. „Karpoon“ also hat 77 Einwohner, besagt das Schild am Ortseingang, dahinter steht ein relativierendes „some days“. Mit diesen Kostproben neufundländischen Humors komme ich gut gelaunt im winzigen Hafen von Quirpon (Dorf) an – und sehe keine Menschenseele, geschweige denn ein Lebenszeichen von Ed English, dem Besitzer von Linkum Tours. Oder doch? Vor der Tür eines der Lagercontainer steht ein Paar Gummistiefel, auch in Neufundlandland ein Indiz, dass jemand da ist. Ich muss energisch klopfen, bis Ed aus dem Halbdunkel auftaucht, die ölverschmierten Hände am Overall abstreift und fröhlich „schön dich zu sehen“ ruft. Und: „Ich kann dich heute leider nicht zum Lighthouse Inn bringen. Zu hoher Seegang!“

Ihr seht ganz richtig: Vor Quirpon Island war hoher Seegang. Zumindest für diese Landratte. Für Ed waren die zwei, drei Meter hohen Wellen bloß ein weiterer Tag im Büro .. :)

Quirpon Island, der beste Ort für Walbeobachtung in Neufundland

Wie bitte? Ed, Mitte 50, in West-Neufundland geboren und als Eisbergspezialist, erfahrener Kajaker und geborener Storyteller bekannt, reckt seine drahtige Statur und blinzelt vergnügt durch seine nach Brillenputztüchlein schreienden Gläser. „Aber das ist kein Problem! Hättest du etwas gegen einen Spaziergang?“

So ist Ed. Dass sein Lighthouse Inn auf der Nordseite von Quirpon Island steht und er noch eine zweite Anlegestelle hat, und zwar in Sichtweite der unmittelbar gegenüber liegenden Inselsüdseite, wird mir nur sukzessive klar. Wenig später powern wir in seinem Schlauchboot mit Festrumpf hinüber. Überall sonst gäbe es jetzt einen Zeitplan, eine Karte mit Kilometerangaben und vor allem einen „waiver“, eine zu unterzeichnende Verzichtserklärung, die alle Anbieter solcher Unternehmungen einem zu Beginn unter die Nase halten.
Doch Ed sagt, dies sei Neufundland und erzählt mir lieber von Wikingern, Seeräubern und Geistern und wie sein Großvater, ein Schiffskapitän, die SS Ethie während eines Sturms im Winter 1919 nicht weit von hier auf Grund laufen ließ und damit Besatzung und Passagiere rettete. Als ich nach Walen frage, immerhin ist es ja schon Ende August, erklärt er, dass Quirpon Island der beste Ort für Walbeobachtung ist. „Wir liegen in der Iceberg Alley. Das bedeutet, dass die starken Meeresströmungen nicht nur die Eisberge aus Grönland direkt vor unserer Haustür vorbeitreiben, sondern auch, dass riesige Fisch- und Krillschwärme mit dabei sind. Und damit mehr Wale als du jemals gesehen hast!“ Und untermauert diese Aussage gleich noch mit einer Geschichte über einen Kajaker, der hier beim Paddeln stecken blieb und deshalb einen Umweg machen musste. Einfach weil vor dem Bug zu viele Wale unterwegs waren! Während ich mit diesem Bild im Kopf an Land stolpere, rät er mir, immer schön rechts von der Stromleitung zu bleiben. Dann macht er kehrt und braust zurück, später soll noch eine Vierer-Gruppe kommen.

Diesen Trail benutzt Ed, um Vorräte zu transportieren, die nicht ins Schlauchboot passen. Oder Gäste bei allzu schlechter Witterung.

Quirpon Island: So schön kann Alleinsein sein!

Damit bin ich nun, von der Köchin im Inn abgesehen, mutterseelenallein auf dieser baumlosen, sechs Kilometer langen und knapp halb so breiten Insel am Nordzipfel Neufundlands. Ein schönes, aber auch ungewohntes Gefühl. Versprengte, auf Eisbergen südwärts reisende Eisbären sind nicht zu befürchten, dafür ist es dieses Jahr zu spät. Was ich wohl überhört habe: Außer der Stromleitung gibt es auch noch einen Trail, den Ed mit seinem Allrad Quad hinterlassen hat. Ich stapfe also los und genieße fantastische Rundumaussichten , balanciere auf wackeligen Holzlatten durch feuchte Niederungen und freue mich schlicht und einfach meines Lebens. Der Wind ist stark, aber noch nicht kalt. Zwei, drei köstliche Stunden später kommt weiß und rot das Lighthouse Inn mit dem schönen Leuchtturm in Sicht. 1998 hat Ed das alte Leuchtturmwärterhäuschen hoch über dem Meer gekauft und in nur sieben Monaten in eine der abgelegensten Unterkünfte in Nordamerika verwandelt. Für den Kauf gab es drei gute Gründe: die längste Saison in Newfoundland & Labrador für Wal- (Juni – September) und für Eisbergbeobachtung (Anfang Mai – Ende Juli). Und schlicht und einfach die Lage nicht bloß abseits, schließlich liegen in Kanada viele Unterkünfte weit ab vom Schuss, sondern – gefühlte – Lichtjahre abseits der Trampelpfade.

 

Die Blaus am Himmel und im Meer änderten ihre Farbtöne fast minütlich. Jede war schön. Das Wetter an diesem Nachmittag war einfach klasse!

Der ideale Ort für gemütliche Stunden am Abend ..

„Hallo, ist jemand zu Hause?“ Ich trete ein und bin sogleich von molliger Wärme wie in Watte gehüllt. Links wartet ein herrlich altmodisches, dunkel vertäfeltes Wohnzimmer mit Sofa, Tisch und Ohrensesseln. Rechts geht es zum gemeinschaftlichen Speiseraum, und gleich daneben geht die Küchentür auf und herein kommt Maria. „Hi, du hast uns gefunden!“ Eds Lebensgefährtin kommt aus Miami und springt an diesem Wochenende für das neufundländische Küchenteam ein. Ich beziehe mein Zimmer, eine urgemütliche Dachkemenate mit modernem Bad und Meeresblick. Abends sind wir sieben am Tisch. Zu Fish & Chips, Wein und Pudding erzählt Ed dramatische Geschichten und grinst am Ende. „Die Hälfte davon ist wahr. Ihr entscheidet, welche das ist!“

Die kleine Bucht unterhalb des Lighthouse Inn ist ein sozialer Ort: Gäste kommen und gehen, Orcas wissen den Kieselgrund als Massagebrett zu schätzen!

Um ganz ehrlich zu sein: Mein Smartphone hatte mit der kabbeligen grauen See und den grauen Walrücken so seine Probleme. Deshalb habe ich auf dieses hier von der Viking Trail Tourism Association zurückgegriffen.

Magische Momente auf Quirpon Island

Wahr ist: Vor der Haustür wimmelt es anderntags nur so von Walen. Natürlich sieht Ed sie eher als seine Gäste. „Ab Frühjahr ziehen Eisberge vor der Haustür vorüber, ab Sommer heißt es Wale zählen. Ich sehe fünf, und ihr?“ sagt er und reicht uns lächelnd die Ferngläser. Die nächsten zwei Tage verbringe ich meist auf den grau-schwarzen Felsen unterhalb des Inns, scanne das kabbelige Wasser, bis die Augen schmerzen und zähle Buckelwale, Zwerg- und Finnwale. Nach diesen sanften Riesen Ausschau zu halten, zu wissen, dass sie ganz in der Nähe sind und jederzeit auftauchen können, hat etwas Magisches, Magnetisches. Eds Landestelle, wo ich zunächst an Land hätte gehen sollen, befindet sich ein paar Hundert Meter vom Inn entfernt an einer alten Betonmauer in einer kleinen Felsenbucht. „Da kommen die Orcas gern hinein, um sich die Bäuche auf dem Kies zu reiben“, sagt er. Dort habe ich das meiste Glück. Fischende Basstölpel schießen im Sturzflug ins Wasser, Zwergwale surfen in den Wellen und weiter draußen mache ich mit dem Fernglas einen Buckelwal aus, der den hohen Wellengang dazu benutzt, sich mit weit aufgerissenem Maul eine schräge Felswand auf und ab tragen zu lassen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Abends fragt Ed, der gerade vom Reifenflicken hereinkommt und vorher mit der Vierergruppe wandern war, wie mein Tag gewesen ist. Unbeschreiblich, sage ich und erzähle. Ed strahlt. Er kennt den Felsen, sagt er. Wer dort oben lang genug warte, habe gute Chancen, den Walen direkt ins Maul zu blicken. Dieses Mal bin ich mir hundertprozentig sicher: Das ist eine wahre Geschichte.

 

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Linkum Tours

Tourism Newfoundland & Labrador
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